Satire statt Thriller
Man zögert, dem Film „Babygirl“ das abgegriffene Label Erotikthriller umzuhängen, wie dies derzeit wieder flächendeckend geschieht, denn während es darin zwar um erotische Selbsterforschung geht, treten alle potenziell kriminellen thrills – anders als in den Genre-Klassikern „Dangerous Liaisons“ (1987) oder „Basic Instinct“ (1992) – hinter die komischen Aspekte dieser Erzählung zurück. Eine Sex- und Beziehungstragikomödie müsste man „Babygirl“ wohl am ehesten nennen, eine satirische Bestätigung der political correctness. Aus den spielerischen Übergriffen eines Mitarbeiters, der damit eher sich selbst aufs Spiel setzt als die Ehre der Frau, die er reizt, wächst sexuelle Attraktion – und eine streng konsensuell betriebene Affäre von Dominanz und Unterwerfung. Im Zentrum: Nicole Mary Kidman, 57, eine Ikone der Naturgesetze aushebelnden Alterslosigkeit, ein Quell der unverbrüchlichen erotischen Strahlkraft.
Kidmans Perfektionismus und ihre harte Arbeit an jeder Rolle und jedem Dreh sind branchenbekannt: Mit „Babygirl“ setzt sie nun den nächsten Schritt in einer Karriere, die das Unterhaltungsbedürfnis und den Voyeurismus ihrer Klientel zwar zu bedienen, zugleich aber mit gesellschaftlicher Prägnanz und Relevanz zu punkten sucht.
Entertainment explosiv
Eine Künstlerin, die sich ebenfalls konsequent der Erneuerung verschrieben hat, dabei avanciertes Entertainment mit politischen Sprengsätzen auszustatten weiß, operiert unter dem Namen FKA Twigs (bürgerlich: Tahliah Barnett) als Musikerin, Model und Schauspielerin. Im Sommer 2022 weilte sie in Prag. Für eine Hauptrolle in der Neuverfilmung der 90er-Goth-Comic-Fantasy „The Crow“ war sie engagiert worden – ein Werk, über das man rückblickend besser den Ledermantel des Schweigens breitet. Der ausgedehnte Drehaufenthalt in der tschechischen Hauptstadt brachte der Britin aber nicht nur einen künstlerischen Bauchfleck ein – an dem sie freilich wenig Schuld trug –, sondern auch weitreichende persönliche Erleuchtung. Ihre Wochenenden vertrieb sie sich, wie sie später gestand, auf Underground-Raves in den brutalistischen Techno-Bunkern der Prager Subkultur. Dort wurde ihre Liebe zur harten, schnellen, bassmächtigen Tanzmusik neu entfacht. Die heute 37-Jährige beschreibt diese Phase als „große Heilungsreise“, auf der sie lernen konnte, „meinen Körper wieder zu benutzen und in ihm zu leben“.
Die akustische Folgewirkung dieser Reise liegt nun in Form eines Albums vor, das Twigs als „Liebesbrief an die Gefühle, die Tanzmusik in mir auslöst“ beschreibt: „Eusexua“ sein Titel. Der Neologismus, ein Kofferwort aus euphoria und sexuality, beschreibt das Ankommen in einem ekstatischen Flow-Zustand, der durch Tanz, Beischlaf oder Meditation, sogar durch eine Tasse Tee erreicht werden kann und so überwältigend ist, dass man das Gefühl hat, die Grenzen des eigenen Körpers zu transzendieren. „Eusexua ist eine Praxis. Eusexua ist ein Zustand des Seins. Eusexua ist der Höhepunkt der menschlichen Erfahrung“, heißt es vollmundig (und sympathisch verzopft) im Video zum Titelsong.
Eine Höhepunktlandung somit – für eine Karriere, die Beats und Bodies seit jeher in Beziehung gesetzt hat. Bereits mit zwölf begann Barnett als professionelle Tänzerin, später unter anderem auch für Kylie Minogue und Ed Sheeran. Doch es war ihre eigene Kompositionskunst, die ihr erhebliche Aufmerksamkeit einbrachte. FKA Twigs’ fulminanter, von der Kritik hymnisch bejubelter Album-Einstand „LP1“ verstrickte 2014 auf unwiderstehliche Weise stimmlich dringlichen R’n’B mit unterkühlter elektronischer Bassmusik-Ästhetik: ein zeitlupenhafter, freidrehend fragiler Sound, ätherisch avantgardistische SciFi-Sinnlichkeit. Auch visuell sprengte die Künstlerin Grenzen, entwickelte Identitäten jenseits tradierter Zuordnungen, sezierte Rollen- und Körperbilder, vollzog verführerische Verrenkungen. Dieser stilprägende wie charismatische Alien-Pop stellte sich ostentativ neben den Mainstream, war für den großen kommerziellen Durchbruch seiner Zeit viel zu weit voraus, auf faszinierende Weise nicht von dieser Welt.
Körperobsession als Selfcare
Ähnlich wie Nicole Kidman, die zwar ein ganz anderes, nicht minder futuristisches Frauenbild entwirft – eine Form der narzisstischen Selbstoptimierung nämlich, in der die Körperobsession als Selfcare eingepreist ist und keineswegs als Anpassung an patriarchale Wunschvorstellungen gelten muss –, dockt FKA Twigs künstlerisch an das Eigene, das Selbsterlebte an. War das zweite Album („Magdalene“) 2019 stark von Trennung und Trauma geprägt – eine Beziehung mit Robert Pattinson war emotional verletzend, jene mit Shia LaBeouf mutmaßlich auch physisch schmerzhaft in die Brüche gegangen (Gerichtsverfahren sind anhängig) – und tönte dementsprechend zerbrechlich, so ist das Sound-Substrat von „Eusexua“ eindeutig mehr in your face. Auf der Erfolgsspur von Charli xcxs letztjährigem Hit-Album „Brat“ finden sich hier magenmassierend tiefe Frequenzen, dunkel pulsierender Techno, dramatisch auf- und abschwellende Synthflächen. Dennoch erweist sich diese Partynacht offen für Brüche und Kehrtwendungen: Während manche Tracks wie die Madonna-Erinnerung „Girl Feels Good“ und das gleißende „Perfect Stranger“ an den eingängigeren Enden ihres Spektrums angesiedelt sind, erkunden andere weiterhin die Möglichkeiten von Dekonstruktion und Abstraktion.
Die markanteste Klangfarbe in Twigs’ Musik bleibt aber ihre Stimme: von unverwechselbarer Zartheit und zugleich ungeheurer Kraft – dabei wandlungsfähiger denn je. Mal per Autotune zerdehnt und zurechtgebogen, mal kieksend, knurrend oder in luftige Höhen steigend, widersteht sie gar der gravitätischen Wucht wummernder Subbässe – während sie inhaltlich den Bogen von der Verarbeitung von Ängsten und Abhängigkeiten hin zur transformativen Kraft körperlicher Erfahrungen spannt. In „Perfect Stranger“ beschwört sie die Freiheit des casual sex mit Fremden, in „24hr Dog“ Unterwerfungsfantasien, die auch Kidmans „Babygirl“ goutieren würde: „Please don’t call my name / When I submit to you this way“.
Apropos this way: Sich Twigs in den Weg zu stellen, ist eher keine gute Idee – schon gar nicht mit paternalistischen Ansagen. „Ich sehe mich nicht als das stereotype Sexobjekt, als das ich abgestempelt wurde. Ich sehe eine schöne, starke woman of colour, deren unglaublicher Körper mehr Schmerz überwunden hat, als man sich vorstellen kann“, wetterte sie letztes Jahr gegen Kritiker, die eine angeblich sexistische (und schließlich verbotene) Calvin-Klein-Kampagne mit ihr beanstandet hatten – das Sujet zeigte sie in einem Jeanshemd, das ihren Körper nur zur Hälfte bedeckte. „Eusexua“ ist die klangliche und konzeptuelle Entsprechung dieses Statements: ein berauschender Tanz mit der Transzendenz, der eine Hohepriesterin der Pop-Gegenwart zeigt, die sich nach Belieben ermächtigt oder zur Verfügung stellt – und ein Manifest dafür, dass keine noch so gut gemeinte Befreiung ohne Spaß, Sex und Seele auskommen kann.