Pop / Kino

Wie Pop-Diva FKA Twigs und Filmstar Nicole Kidman Geschlechterklischees aushebeln

Selbsterfindung aus dem Geist des Schmerzes: Die britische Musikerin FKA Twigs und Hollywood-Superstar Nicole Kidman schlagen in "Eusexua" und "Babygirl", ihren neuen Werken, weibliche Rollenbilder beherzt in den Wind.

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Das faltenlose, botoxgestählte Gesicht und der gestraffte, konservierte Körper als Ergebnis einer Lebensroutine aus Disziplinfasten und Workout-Wellness: Die Schauspielerin Nicole Kidman thematisiert in „Babygirl“, ihrem jüngsten Film, all das ganz direkt, worüber die sozialen und die Boulevardmedien sich seit jeher die Mäuler zerreißen („Hat sie oder hat sie nicht?“), als zielorientierte und erfolgsverwöhnte Frau, die Nervengift und Faltenunterspritzung so selbstverständlich benutzt wie andere Duschgel und Zahnpasta.

Tatsächlich geht der australisch-amerikanische Filmstar in „Babygirl“ erstaunlich offen mit den Stereotypen um, die ihr gern zugeschrieben werden: restaurierte Physis und frostige Aura, Selbstbesessenheit und Unnahbarkeit. Die Chefin eines Konzerns, eine privilegierte, wohlsituierte, aber existenziell leicht angeödete Frau mit Familie, verfällt in „Babygirl“ dem Charme und den Dreistigkeiten eines jungen Praktikanten (Harris Dickinson), der ihr Bedürfnis nach sexueller Unterwerfung zu ahnen scheint und anzufachen beschließt. Eine Affäre entwickelt sich, deren Risiken und Nebenwirkungen nicht auf den ersten Blick zu ermessen sind.

Die niederländische Autorin und Regisseurin Halina Reijn rührt mit dieser Erzählung an ein Tabu: Feminismus und Submission, geht das zusammen? Kann man als Frau souverän bleiben und an der Zerschlagung des Patriarchats mitarbeiten, wenn man sich zugleich von einem Mann erotisch dominieren lassen möchte? Reijn hat ein Faible für moralische Komplexitäten: Der Graubereich, in dem das zentrale Paar ihres Films sich bewegt, besitzt mehr als nur die handelsüblichen fifty shades. „Babygirl“ lotet Macht- und Gender-Dynamiken klug aus, porträtiert eine Frau, die den eigenwilligen Wegen ihres Begehrens freien Lauf lässt, sich mutig in eine sanft sadomasochistische Beziehung begibt.

Einen antifeministischen Backlash wird man in „Babygirl“ jedenfalls vergeblich suchen: Warum sollte weibliche Selbstbestimmung ausgerechnet bei der Befriedigung der eigenen Lust enden? Die nur scheinbaren Widersprüche des emanzipierten postmodernen Frauenlebens nach #MeToo sehen eben auch vor, dass man ein börsennotiertes Unternehmen führen kann und sich im libidinösen Rollenspiel dennoch unterwerfen will.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.