John Lydon: "Ich bin der König der Punks"
profil: Als Sie vor drei Jahren mit Ihrer Band Public Image Ltd (PiL) ein Album aufnahmen, hatten Sie gerade all Ihre Songtexte bei einem Hausbrand verloren. Es heißt, diesmal seien Sie überhaupt unvorbereitet ins Studio gegangen. Lydon: Ich wusste nur, dass wir aufnehmen wollten. Ich war sehr gut vorbereitet, aber eben auf eine unvorbereitete Weise. Mir war klar, dass wir das Improvisieren draufhaben. Ich habe gelernt, immer auf dem guten Fuß zu landen. Schon bei den Sex Pistols musste ich dauernd spontan Texte produzieren. Aber so, wie mein Hirn arbeitet, ist das kein Problem. In meinem Schädel treiben sich immer zehn bis 20 Songs herum.
profil: Unlängst hatten Sie ein Engagement als King Herod in einer Broadway-Produktion von „Jesus Christ Superstar“, die nach langen Proben in letzter Minute abgesagt wurde. Nicht Ihretwegen, oder? Lydon: Ich habe mein Leben lang nie Anweisungen befolgt, und die Vorstellung, mir von einem Regisseur sagen zu lassen, wie ich tanzen oder singen soll, war für mich zunächst fremd. Aber ich habe mich darauf eingelassen, und am Ende fand ich es wirklich aufregend. Man lernt, sein Ego an der Tür abzugeben und wieder ein Kind zu sein. Nachdem ich selber kaum eine Kindheit hatte, war das nicht so einfach. Aber ein enormer Schritt nach vorn, wieder eine Hürde, die ich gemeistert hatte.
profil: Würden Sie es noch einmal tun? Lydon: Nein, die Enttäuschung der Absage war zu viel für mich – und ein finanzielles Desaster, das auch noch mit dem Schreiben meiner Autobiografie und den Vorbereitungen auf das neue PiL-Album zusammenfiel. Unter Druck von allen Seiten musste ich mich über Wasser halten, indem ich mich ganz auf meinen eigenen Kopf verließ.
profil: Sie gehören zu einer Generation, in der Sprösslinge der britischen Arbeiterklasse noch in die Charts vordringen konnten. Heute scheint sich die Pop-Prominenz aus den Privatschulen zu rekrutieren. Lydon: Die Tür ist fest verschlossen. Ich werde vom Establishment genauso wenig akzeptiert, immer noch. Und ich bin froh darüber. Ich bin der geborene Rebell, so wie meine Eltern und deren Eltern. Aber dieser Kampf braucht keine Fahne, mit der man dann herumwedelt. Ich bin der König der Punks, das kann niemand leugnen. Diesen Rang hab ich mir verdient, und ich werde ihn nicht wieder aufgeben. Ich stehe außerhalb des Scheißsystems und gebe damit ein gutes Beispiel für die jungen Leute ab: Du kannst das Dreckssystem schlagen, aber du brauchst dafür Geduld und Ausdauer.
Zur Person John Lydon, 59. Als die Sex Pistols sich 1978 in einem Strudel von Animositäten auflösten, starb die Unschuld des britischen Punk. Der traumatisierte Rädelsführer Johnny Rotten kehrte zu seinem Geburtsnamen John Lydon zurück und verstörte mit der experimentellen Formation Public Image Ltd sein Publikum. Nach diversen Wiedervereinigungen der Pistols geht es ihm längst nicht mehr um den Bruch mit der Punk-Legende, sondern um deren Neuschreibung gemäß eigener Sichtweisen. Im Mai erschien Lydons zweite Autobiografie, „Anger is an Energy – Mein Leben unzensiert“, und kürzlich „What the World Needs Now“, das bereits zehnte PiL-Album.