Elfriede Mejchar (93)

Wiederentdeckt: Die Wiener Fotografin Elfriede Mejchar

Die Wiener Fotografin Elfriede Mejchar hat über Jahrzehnte die Vergänglichkeit von Brachland, Industrieanlagen und Naturszenerien beleuchtet. Zwei Ausstellungen rücken nun das vielfältige Schaffen der rüstigen 93-Jährigen in den Blick.

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Das Foto birgt Dramatik: Im Vordergrund wachsen wilde Gräser und Sträucher, aus der Ferne grüßen die vier majestätischen Gasometer-Türme. Ein bewölkter Himmel spannt sich über die Wiener Szenerie. Würde man den Ort heute suchen, man fände ihn nicht leicht; er hat sich fundamental verändert. Die Komposition stammt aus der Serie "Simmeringer Haide und Erdberger Mais" (1967-1976), in der die Fotografin Elfriede Mejchar - in Wien derzeit in zwei Ausstellungen vertreten - die Peripherie der Stadt dokumentierte. Fabriken stoßen hier auf Felder, rohe Holzzäune umschließen Gärten, Hochhäuser erheben sich hinter Brachland, dazwischen immer wieder vergessene Reste menschlichen Daseins: Autos, die sichtlich lange schon nicht mehr bewegt wurden, ein Herd, der offenbar bei einem Hausabriss übrig blieb und nun, umgeben von Mauerresten, in der Landschaft lagert.

Man spüre angesichts dieser Fotos "den ruhigen Schritt durch uneindeutiges Gelände, nachdenkliche Geduld statt Gier nach dem Spektakulären, Normalität statt Extravaganz", schrieb Wolfgang Kos im Katalog zu einer Ausstellung, die er der Künstlerin 2008 als Direktor des Wien Museums ausrichtete. Heute gelten diese Arbeiten als Klassiker der österreichischen Fotografie.

Aus der Serie "Simmeringer Haide und Erdberger Mais" 1967-1976

"Mein Mann war ein Stadtmensch, ich aber war vom Land gekommen, und das wollte ich zeigen", erklärt Mejchar ohne Umschweife auf die Frage, wie sie auf die Idee zu diesen Bildern kam. Sie empfängt profil in ihrer Wohnung in Wien-Favoriten. Seit 1962 lebt sie hier. Die alte Dame, Jahrgang 1924, ist topfit, ihre lebhaften Augen strahlen aus einem ausdrucksstarken Gesicht, das von weißem, akkurat geschnittenem Haar umrahmt ist. Hände, die nicht stillhalten können, unterstreichen ihre Erzählungen.

Das Leben meinte es zunächst nicht ganz so gut mit ihr. Ohne Vater in schwierigen finanziellen Umständen aufgewachsen, verbrachte sie Kindheit und Jugend zwischen Wien, Niederösterreich und Norddeutschland, immer wieder getrennt von der Mutter. In den 1940er-Jahren erlernte sie in Deutschland ihr Handwerk, kehrte wieder nach Wien zurück. Die frühe Nachkriegszeit war schwierig für sie. "Unzeitgemäß" nannte sie ihr Leben in jenen Jahren einmal. "Für junge Leute wie mich, die hart arbeiten mussten und keinen finanziellen Background hatten, war das keine gute Zeit. Ich stand in Wien zunächst allein da, nur mit einem Koffer in der Hand." Ihr Brotjob, den sie später am Bundesdenkmalamt (BDA) fand, rettete sie finanziell: Mehr als drei Dekaden, bis zu ihrer Pensionierung 1984, fotografierte sie Kirchen und Kunstwerke - bei den Denkmalschützern kam sie damit kaum an. "Einmal wurde mir, nachdem ich alles aufwendig aufgebaut hatte, gesagt, dass ich 'knipse'", erinnert sie sich empört. Doch das BDA-Einkommen ermöglichte es ihr, eigenen Projekten zu folgen, zumindest an den Wochenenden.

"Ich war immer neugierig"

Schon ihre erste bedeutende Serie signalisiert Interesse an Dingen, die gemeinhin als wenig attraktiv gelten. In Markersdorf nahe St. Pölten fotografierte Mejchar 1946 einen weitgehend zerbombten Fliegerhorst. Auf den Bildern ragen die Überreste wie Stelen in die Höhe, ein kaputtes Flugzeug liegt wie ein toter Vogel am Boden. Wie sie zu solchen Sujets kam? "Ich war immer neugierig."

In jenen Jahren hieß der Star der österreichischen Fotografie Franz Hubmann, bekannt für seine gewitzten Porträts glamouröser Persönlichkeiten. Doch Mejchar interessierte das Reportage-Genre wenig. "Ich fotografierte nicht gern Menschen, lieber das, was sie hinterlassen", erzählt sie mit verschmitztem Lächeln. Während sich ihre heimischen Kollegen eher an der französischen Fotografie -etwa eines Henri Cartier-Bresson, der den Ausdruck des "entscheidenden Moments" prägte - orientiert hätten, habe sie interessiert, was diesseits des Atlantiks geschah. Als sie während der Besatzung in Norddeutschland lebte, arbeitete ihr Stiefvater dort für die Amerikaner. Diese brachten eine Soldatenzeitung heraus, durch sie habe sie die US-Fotografie kennengelernt, später auch das "Life Magazine".

Aus der Serie "Hotel" 1970-1986

Porträts stellte Mejchar nicht oft her, aber sie machte doch Ausnahmen, ihr Zyklus "Künstler bei der Arbeit" (1954-1961) zeugt davon. In ihrem kargen Arbeitszimmer erinnert sie sich, häufig kichernd, an ihre Begegnungen. Ein Bild zeigt Friedensreich Hundertwasser, auf einem Bett liegend. "Mitten in dem großen Raum stand ein Ofen", erzählt Mejchar, "und plötzlich sagte Hundertwasser: 'So, jetzt leg ich mich ins Bett.' Mir war nicht klar, was geschehen würde. Also versteckte ich mich hinter dem Ofen. Ich war ja eine Landpomeranze! Aber er hat sich glücklicherweise nicht ausgezogen, nur hingelegt." Auf einem anderen Foto sitzt der Maler Rudolf Hausner zwischen Spiegeln. "Er gerierte sich -man sieht das auf den Bildern - als Fürst der Kunst." Anderswo blickt die Künstlerin Lotte Profohs zu dem Maler Helmut Leherb empor, ihre Bewunderung ist unübersehbar: "Sie hat ihn angehimmelt", so Mejchar. "Das soll eine Frau nicht machen."

Ruinen und Monster

Mejchars Werk ist üppig. Mittlerweile hat sie die meisten ihrer Arbeiten an das Wien Museum und das Landesmuseum Niederösterreich übergeben. Ein großes Konvolut umfasst Fotos von Industriedenkmälern, die sie erst in ihrer Pension aufzunehmen begann und die jenen des deutschen Paars Bernd und Hilla Becher ebenso ähneln wie Arbeiten der Österreicherin Margherita Spiluttini. In einem Alter, in dem andere ihre Beine hochlagern, erjagte Mejchar Zutrittsgenehmigungen für leerstehende Fabriken, gelangte zu Aufnahmen stillstehender Maschinen von monumentaler Erscheinung. Unerwartetes findet sich in ihrem Œuvre: experimentelle Aufnahmen von Schatten, detailscharfe Bilder längst ausgetrockneter Pflanzen. Ihre Collagen harren noch der Wiederentdeckung: Gern verwendete sie dafür Fotos von Models, deren Augen sie ausschnitt oder denen sie Bilder wilder Tiere zwischen die Lippen setzte. "Diese hübschen Damen in den Journalen lachten einen an wie Überwesen! Das hat mich geärgert, dagegen musste ich etwas unternehmen." Mit wenigen Schnitten wurden aus den jungen Schönheiten monströse Erscheinungen.

Ihr Alter hindert Mejchar keineswegs am Arbeiten. Kürzlich hat sie sich eine neue Digitalkamera gekauft. "Am liebsten fotografiere ich jetzt Stillleben. Aber ich muss mit der Kamera noch üben." Wenige Minuten später erklärt sie beiläufig: "Ich bin jetzt dabei, mein Grab herzurichten." Ihre eigene Vergänglichkeit hat Elfriede Mejchar ebenso scharf im Blick wie jene der Brachen, der Blumen und der weiblichen Schönheit.

"Österreich. Fotografie 1970-2000", Albertina, zu sehen bis 8.10.

"Elfriede Mejchar. Ich habe meine Arbeit immer sehr gern gehabt", Galerie Straihammer und Seidenschwann, Grünangergasse 8 / 3,1010 Wien. Bis 14.10. Eröffnung: 6.9., 19 Uhr.

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer