Wiener Festwochen 2017: Ein Resümee
Waren die gerade zu Ende gegangenen Wiener Festwochen niederschwelliger als bisher?
Im Gegenteil. Das Festival ist elitärer geworden. Es sprach vor allem jene an, die gern mit Begriffen wie "Queer-Kultur" und "Postkolonialismus" um sich werfen. Dabei waren die Festwochen in den vergangenen Jahren nicht minder theoretisch ausgerichtet. Doch man schrieb sich die Theorie weniger demonstrativ auf die Fahnen, agierte in der Kommunikation nach außen hin offener und wirkte, was das Programm selbst betraf, breiter und einladender aufgestellt. 2017 war in den Ankündigungstexten viel von "Ausnahmezuständen" und "ekstatischen Erfahrungen" die Rede; es wurde zum "Jihad der Solidarität" geladen; in den sozialen Medien verbreitete man halblustige Hashtags (siehe #battlegegendieverhältnisse). Viele hochtrabende Versprechen erwiesen sich als leere Hüllen. Im aufblasbaren Kunst-Hamam im Performeum verbrachten die Besucher mitunter mehrere Stunden, ohne auch nur annähernd mit den in Aussicht gestellten Diskursen in Berührung zu kommen. Performances erwiesen sich als Installationen oder trockene Lectures. Schwer zu sagen, ob dahinter dramaturgisches Unvermögen oder eine gewisse Arroganz steckte. Oft mangelte es schlicht an fixen Zeitabläufen, auf die man sich hätte verlassen können. Der Zufall bestimmte, was zu sehen war. Bei Kartenpreisen um die 20 Euro eine Zumutung.
Wie war es um die Dramaturgie bestellt?
Die Eröffnungsvorstellung "Ishvara" in der Halle E des MuseumsQuartiers erwies sich als prototypisch für die gesamten Festwochen: Die Wirkung der exzentrischen Produktion, die in einem kleinen Club durchaus mitreißend hätte sein können, verpuffte auf der gigantischen Bühne. Die Choreografie wirkte läppisch, Details der Kostüme waren ab der zehnten Sitzreihe nicht mehr auszumachen. Ähnlich erging es der Uraufführung von Saint Genets "Promised Ends": Was ursprünglich als Installation gedacht war, bei der die Zuschauer kommen und gehen konnten, avancierte in der Halle G zum quälenden Nachsitzen im Klassenraum einer in die Jahre gekommenen Avantgarde. Zu der Kunst des Kuratierens gehört das nötige Gespür für geeignete Räume. Intendant Zierhofer-Kin beschäftigt mehr Kuratoren als seine Vorgänger, was dazu führte, dass der New Yorker Ben Pryor die Protagonistinnen seines eigenen Alternativfestivals American Realness nahtlos nach Wien transferierte. Dabei müssten die Festwochen doch selbst entscheiden, was in die Stadt passt und diese Wahl nicht Pryor überlassen, der die heimische Performance-Szene nicht kennt. Den Tanzstil Vogueing, 1980 in der marginalisierten schwarzen Gay-Community in Harlem entstanden und mittlerweile längst im Kommerz angelangt, verkauften die Festwochen als "ekstatische Praxis des Widerstands". In der Schiene "House of Realness" gab es endlos lange Pausen, zu denen lieblos Musik vom Band lief. Selten verkümmerte beabsichtigte Ekstase derart zu Langeweile und Lieblosigkeit. Vieles im Performeum, von Zierhofer-Kin als wegweisender neuer Raum gepriesen, sah wie laienhafte Kleinkunst aus, die man in Wien ohnehin das ganze Jahr über gratis sehen kann. Die Festwochen operieren mit einem Gesamtbudget von 13 Millionen Euro. Wenn sie weiterhin wie verlängerte Bezirksfestwochen agieren wollen, werden früher oder später nicht nur private Sponsoren abspringen, sondern auch der kommunale Fördergeber wird damit beginnen, Subventionen zu kürzen. Für das renommierte Festival wäre das fatal.
Wie politisch waren die Festwochen?
Die Festwochen waren inhaltlich schon immer politisch, so waren in den letzten Jahren Arbeiten zu sehen, die den schwierigen Alltag im Kongo erfahrbar machten, das Leben von Transgender-Personen thematisierten, das Zerbrechen der Zivilgesellschaft in Ungarn ins Blickfeld rückten. Ästhetisch sind die Festwochen also nicht politischer geworden; abseits der Bühnen klafften jedoch Anspruch und Realität auseinander. Je mehr mit Hashtags wie #artivisim, #queerresistance oder #pussygrabsback um sich geworfen wurde, desto deutlicher zeigte sich, wie wenig sich das neue Team für Tagespolitik interessiert. Von der Flüchtlingskrise über die Ehe für alle bis zum Frauenvolksbegehren suchte man vergeblich politische Stellungnahmen in Interviews oder auf der Facebook-Site des Festivals. Lieber machte man es sich in der pseudo-revolutionären Kunst-Bubble bequem.
Braucht es den Clubschwerpunkt Hyperreality?
Ein Blick zurück in die mittlerweile 66-jährige Geschichte zeigt: Die Festwochen brachten nach Wien, was künstlerisch vernachlässigt war; sie zeigten der heimischen Szene und dem Publikum, was es anderswo an innovativer Ästhetik gab. In den 1980er-Jahren (unter Ursula Pasterk) entstand der damals kontroverse Kunsthallen-Container am Karlsplatz; die Musikschiene Big Beat brachte Bands wie Hüsker Dü, Pixies und The Sugarcubes in eine damals noch reichlich graue Stadt. 2017 herrscht dagegen kulturelles Überangebot. Die Aufgabe der Festwochen besteht nicht mehr darin, künstlerische Lücken zu schließen. Das Festival muss vielmehr für Qualität auf höchstem Niveau sorgen und Experimente bieten, bei denen etwas gewagt wird. Die Eigenproduktion von Jonathan Meeses "Mondparsifal" war in diesem Zusammenhang richtig gedacht, obwohl das Ergebnis enttäuschte. Aufgabe der Festwochen ist es, Kunst zu ermöglichen, die man nur hier sehen kann.
Braucht Wien also die neu etablierte Clubschiene Hyperreality? Eigentlich nein, weil das ganze Jahr über ein breites Musikangebot herrscht. Hyperreality überzeugte dennoch mit Qualität. Das Elektronik-Festival, für das ein verfallenes Renaissance-Schloss in Simmering angemietet wurde, erwies sich als gelungene Gesamtinszenierung, die tatsächlich ein jüngeres Publikum ansprach. Unter den musikalischen Acts waren erfreulich viele Frauen vertreten, die famose Technik hüllte die Zuschauer in Soundwolken. In Zukunft wäre es allerdings sinnvoll, das Programm nicht an vier aufeinanderfolgenden Tagen abzuspulen, sondern auf die Wochenenden zu verteilen; an den Arbeitstagen verloren sich die Besucher in den Sälen, am Samstag waren die Spielorte brechend voll.
Wie steht es um 2018?
Tomas Zierhofer-Kin betont gern, dass ihn traditionelle Formate nicht interessierten. Gänzlich auf abendfüllende Theater-und Opernproduktionen wird er 2018 aber nicht verzichten können. Nach dem Abgang des erfahrenen Dramaturgen Stefan Schmidtke, der das Programm heuer noch mitgeprägt hat, wurde die Stelle nicht nachbesetzt. Dabei wäre ein Profikurator, der im internationalen Kunstkontext bestens vernetzt ist, dringend nötig. Zierhofer-Kin hat als Theater-und Operndramaturg wenig Erfahrung, sein Team interessiert sich für Performances. Wollen die Festwochen 2018 keine massiven Publikumseinbrüche erleiden, müssen sie auch die klassischen Bühnen innovativ bespielen.
2017 suchte man diesbezüglich vergebens nach neuen Namen, die zündeten: Romeo Castellucci, Ivo van Hove oder das australische Back to Back Theatre sind Festwochen-Stammgäste; Gintersdorfer/Klaßen, die Mozarts "Entführung aus dem Serail" dekonstruierten, waren bereits mit besseren Produktionen zu Gast. Das aktuelle Schauspielprogramm glich zu sehr dem Hamburger Festival Theater der Welt (Wien und Hamburg teilten sich drei Produktionen und fünf Künstler). 2018 werden die Festwochen weiter reisen müssen, um sich selbst zu entdecken.