Ach, mein Herz!
Ein Mann, der allen gehört. Das erzählten die Werbeplakate, die nun wieder Stück für Stück aus dem öffentlichen Leben verschwinden werden. Jemand, den man anfassen, den man duzen darf. Jemand, der sich in seine neue Rolle als „Familienvater für Österreich“, wie der Mann auf den Wahlinseraten in Interviews verriet, gefügt hat. „DEIN HERZ SAGT JA!“, war querfeldein auf Plakaten zu lesen. Die Herzen sehr vieler Menschen sagten am vergangenen Sonntag JA zu Herbert Kickl und dessen FPÖ; die Rechtspopulisten sind in Österreich mit 29,2 Prozent erstmals Sieger bei einer Nationalratswahl.
Eine Alltagstrivialität lautet, das Herz kenne immer die Antwort. Erlaubt sei die Nachfrage, wie und auf welche Weise besagtes Wahlplakat-Herz die nunmehrige politische Großgemengelage in zumindest minimaler Dosis beeinflusst hat. Der Wiener Philosoph und politische Zwischenrufer Franz Schuh, 77, ist auch in dieser Hinsicht ein willkommener Begleiter. In der kleinen Buchreihe „Gedankenspiele“ aus dem Grazer Droschl Verlag hat sich Schuh jüngst in einem Bändchen Gedanken zum Zentralorgan des Lebens gemacht.
„Ich habe ein großes Herz“, bekennt Schuh, wobei das Allerletzte, was man vom Wiener Denker erwartete, eilfertige Bekenntnisse wären: Schuhs Weg heißt immer Umweg. Er fährt fort: „Das darf ich von mir sagen, weil die Herzmetaphern in sich uneinig sind. Mein Herz ist kardiologisch gesehen zu groß, Jahre des hohen Blutdrucks habe ich in die Größe meines Herzens investiert. Die Herzmetapher kann ich nicht für mich beanspruchen, der gemäß jemand ein großes Herz hat, dessen Empathiefähigkeit, seine Weitherzigkeit über dem Durchschnitt liegt. Mein Herz ist bloß tatsächlich groß.“
Unser Herz also – gleichermaßen Pumpstation für den lebensnotwendigen Blutfluss wie, so Schuh, Metaphernschleuder für die „(trivialisierte) Behauptung absoluter Authentizität“. Etwas auf dem Herzen haben. Sich ein Herz nehmen. Sein Herz ausschütten. Das Herz auf der Zunge tragen. Neuerdings eben auch: Das Herz, das Ja sagt.
Das Großgestische der Wahlwerbung lässt sich mit Schuhs Beistand aufs Angenehmste auspendeln. „Ein Herz im vollen Umfang haben wir allein für unsere Liebsten, und ein wenig fällt davon für andere ab. Alle werden sterben, und insofern können wir solidarisch auch unsere Mitmenschen ins Herz schließen. Das ist aber nur ein Abglanz des durch und durch gehenden Schmerzes, der uns das Herz brechen kann, wenn uns das Liebste, die Liebste oder der Liebste stirbt.“ Er habe, lässt Schuh seine Gedanken zirkulieren, jemanden sagen hören, er sei mutig, integer und – „im Herzen“ – Optimist: „Was einer im Herzen ist, so will es die Metapher, ist er wirklich, ,eigentlich‘. Aber die Sprache ist auch ein Spielraum, und die Verniedlichung der Herzlichkeit zu ,herzig‘ könnte der Versuch sein, die lebensentscheidende Größe des Organs intimisierend zu verniedlichen.“ Einen Ausblick nach der politischen Herzenswallung hat Schuh ebenfalls parat: „Im Laufe der Zeit beruhigen sich die Herzen, und es treten andere Umstände ein, schöne und auch schreckliche.“
Vielleicht wohnt neben dem Herzen ja auch die flüchtige Seele. „Die ganze Konstruktion meiner Seele steht auf wackeligen Beinen“, notiert Schuh: „dünne X-Beine, deren Knie fast zusammengewachsen erscheinen – tja, eine schöne Seele ist das nicht.“ Schuhs „Gedankenspiele“ sind ein schönes Herz-Schmerz-Büchlein geworden. Von Herzen, gewissermaßen.