Kritische Blicke

Wohin bewegt sich Europa, Herr Arzt?

"Es fehlt einfach der linke Populismus"

Drucken

Schriftgröße

profil: Was hat Sie dazu bewogen, das Stück „Die Neigung des Peter Rosegger“ zu schreiben? Arzt: Ich hatte für das Grazer Schauspielhaus einen Monolog über Heimat und Nationalismus verfasst, wobei mich das Thema nicht mehr losließ. Später plante das Theater ein Projekt zu einem Heimatdichter aus der Steiermark – da lag Rosegger nahe. Für mich ist er als Projektionsfläche interessant.

profil: Im Stück neigt sich eine Rosegger-Statue immer mehr nach rechts. Eine Metapher auf die politische Lage in Europa? Arzt: Natürlich. Ich wollte auch eine Zeitstimmung einfangen, gewissermaßen Sprache vergrößern, die Lupe auf all das halten, was auf den Straßen gesprochen und politisch kommuniziert wird. Es ist die Geschichte einer ländlichen Gemeinschaft, die zerfällt, sich zur Gewalt wendet.

Ich finde es schade, wenn man den Begriff Heimat scheut.

profil: Wie schwierig ist es, mit dem Begriff „Heimat“ literarisch umzugehen? Arzt: Sobald er plakatiert wird, verkommt er zum Kampfbegriff. Man kann „Heimat“ aber auch positiv betrachten. Ich finde es schade, wenn man den Begriff scheut und damit Leerstellen schafft, die von Populisten gefüllt werden. Ohne das Gefühl von Heimat vermisst man doch etwas. Wobei ich eher dafür plädiere, dieses Gefühl nicht an einem bestimmten Ort festzumachen, eher an einer Art Solidarität. Man müsste einen europäischen Heimatgedanken entwerfen: Ich fühle mich beheimatet in einer Vision von Europa. All das verpufft aber, wenn man die Heimatscholle beschwört, die man durch Grenzen sichern möchte.

profil: Heimat spielt in allen Ihren Stücken eine Rolle. Warum? Arzt: Ich weiß selbst nicht genau, weshalb sich das Thema wie ein roter Faden durch meine Arbeit zieht. Bereits in meinem Debüt „Grillenparz“ schlägt ein Naturidyll in Gewalt um. Mein jüngstes Stück ist gesellschaftspolitischer, bezieht sich auf die aktuelle Situation in Österreich. So zeitaktuell war ich noch nie.

profil: Wohin bewegt sich Europa? Arzt: Ich bin da eher pessimistisch. Es fehlt einfach der linke Populismus. Ideen werden nicht genug mit Gefühl aufgeladen, damit nicht nur mit dem Kopf argumentiert wird. Es muss endlich über Weltgerechtigkeit gesprochen werden, die Flüchtlingsdebatte darf nicht länger auf Basis der Herkunft der Menschen geführt werden. Es geht letztlich um ökonomische Ungerechtigkeit: Es findet eine Umverteilung von Menschen statt, weil jede Geldumverteilung fehlt. Deshalb braucht es einen neuen Linkspopulismus, der Lust auf eine andere Welt macht.

Thomas Arzt, 33, wurde im oberösterreichischen Schlierbach geboren. 2008 entstand sein erstes Theaterstück „Grillenparz“, das mit dem Hans-Gratzer-Stipendium ausgezeichnet und im April 2011 am Wiener Schauspielhaus uraufgeführt wurde, wo Arzt in der Spielzeit 2010/2011 als Hausautor arbeitete. Im Theater in der Josefstadt wurde dieses Jahr „Totes Gebirge“ uraufgeführt; im Grazer Schauspielhaus steht ab 15. September die Uraufführung des kritischen Heimatstücks „Die Neigung des Peter Rosegger“ auf dem Spielplan.

Karin   Cerny

Karin Cerny