Wolf Biermann: "Ach, Widerstand geht immer nur konkret"

Der deutsch-deutsche Grenzgänger und Liedermacher Wolf Biermann über die "totalitären Wunden" in der früheren DDR.

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profil: Wie geht es einem kritischen Zeitgenossen wie Ihnen mit der Aussicht, sich bald als Filmfigur betrachten zu können? Biermann: Man ist sich selbst dermaßen nah, dass man sich über niemanden so tief täuscht wie über sich selber. Also hoffe ich darauf, dass der Film so gut wird, daß er mich wunderbar enttäuscht.

profil: Möchten Sie sich selbst spielen? Biermann: (lacht) Ja, am liebsten würde ich den sechseinhalbjährigen Wolf spielen, der mit seiner Mutter 1943 durch das Feuer der Hamburger Bombennacht rennt, auf ihrem Rücken durch den Kanal aus dem Feuer herausschwimmt und so am Leben bleibt. Diese Rolle würde ich gerne spielen.

profil: Kommenden Sonntag werden Sie am Internationalen Holocaust-Gedenktag in Wien zu erleben sein. Was werden Sie singen?* Biermann: Ganz sicher "Gesang für meine Genossen" und das Lied "Gräber", zwei Lieder, die ich für meinen Vater schrieb, der 1943 nach Auschwitz deportiert wurde.

profil: Wären Sie heute 20 Jahre alt, wie würden Ihre Protestlieder klingen? Biermann: Lieder halten länger, als man denkt. Sie transportieren eine Geschichtserfahrung, die in neuen Situationen von Nutzen sind. Deshalb sind auch etliche Lieder heute noch brauchbar. Das Leben ist verändert, aber die Gefühle und Probleme sind ähnlich, so kann man schärfer vergleichen.

profil: Können Sie sich Ihr berühmtes Lied "Soldat, Soldat" als Rap vorstellen? Biermann: Ja, das wurde schon als Rap gemacht.

profil: Haben Protestsongs überhaupt noch das Potenzial, Menschen zu mobilisieren? Biermann: Ich habe nie Protestsongs geschrieben, die kommen aus der Folklore der USA. Musik kann immer mobilisieren. Rebellische Lieder sind so alt wie die Menschheit. Die Macht der Lieder geht immer von den Menschen aus, die sie grade der Welt ins Gesicht singen. Trotzdem heißt es in meinem Gedicht "Melancholie":"Und weil kein Lied die Amokläufer stoppt."

profil: Wie geht Widerstand heute? Biermann: Ach, Widerstand geht immer nur konkret - damit er keine Pose ist, nicht ideologisch oder Religionsersatz wird.

profil: Wogegen würden Sie heute antreten? Biermann: Ich habe in meinem kleinen Menschenleben zwei "Naturfeinde". Das sind erstens die Nazis und zweitens die Stalinisten - geschichtliche Figuren, die auch in ihrem modernen Outfit Kontinuität haben. Natürlich sind die jungen Mitglieder der Linkspartei keine Stalinisten im altmodischen Sinn. Aber sie stehen für diese menschenfeindliche Tradition, sind genauso Stalinisten, wie junge Nazis eben Nazis sind.

profil: Verstehen Sie die Angst vor der Klimakatastrophe? Biermann: Nein, damit kann ich nicht dienen. Bemerkenswert ist, dass Menschen, die die Thermodynamik eines Kühlschranks nicht verstehen, jetzt das Weltklima retten - und offenbar das weltpolitisch Richtige einfordern. Während die Technikversteher gerade das Falsche weiter machen. Verdrehte Welt.

profil: Das klingt beinahe so, als stünden Sie auf der Seite von Donald Trump, der meint, wir hätten alles richtig gemacht. Biermann: Wer das von sich glaubt, ist ein Trottel. Aber ich will nicht über Dinge daherreden, die ich nicht genügend verstehe. Das sage ich Ihnen nicht aus Feigheit, sondern aus echter Unwissenheit.

profil: Wenn man Ihr wütendes, vor Kurzem an die SPD gerichtetes Pamphlet "Wacht auf, Verdammte dieser Erde" liest, fragt man sich, ob Sie noch Erwartungen an irgendeine politische Partei haben. Biermann: Das grenzt schon an eine Gretchenfrage. Emotional bin ich seit jeher eng familiär mit der SPD verbunden, die Sozialdemokraten sind meine Leute. Meinen Vater Dagobert wollten seine kommunistischen Genossen 1932 totschlagen, weil er für ein Zusammengehen mit der Sozialdemokratie eintrat. Selbst mein Großvater ging mit dem Beil auf ihn los. Die Sozialdemokraten, die sich gegenwärtig in einer elenden Verfallsphase befinden, waren innerhalb der linken Bewegung immer die Ehrlichsten und Tapfersten. Und wenn ich die CDU-Frau Angela Merkel wähle, dann unter anderem deshalb, weil sie in meinen Augen auch sozialdemokratische Politik macht.

profil: Ob die deutsche Kanzlerin das wohl mit Freude hört? Biermann: Ob das die SPD gerne hört, ist wohl eher die Frage. Eines gefällt mir: Frau Merkel glaubt wirklich an Gott, an den ich nicht glauben kann. Nach meiner Meinung, die natürlich falsch sein kann, ist Frau Merkel eine echte Christin und eine echte Sozialdemokratin.

profil: Angela Merkel als bessere Sozialdemokratin als die gerade neu gewählte SPD-Spitze? Biermann: Ich habe mir Olaf Scholz an die Spitze der SPD gewünscht, er ist ein kluger, erfahrener Politiker. Ein grober Fehler, dass dies nicht geschehen ist. Es ist eine sozialdemokratische Krankheit, dass immer die besten Leute abgesägt werden. Selbstmord aus Furcht vor dem Tode.

profil: Ihr Vater wurde aufgrund seiner politischen Haltung gegen die Nazis 1943 in Auschwitz ermordet, alle seine jüdischen Angehörigen wurden in die Vernichtung deportiert. Stimmt die Geschichte in Ihrem jüngsten Buch "Barbara - Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten", dass Sie von dem Bahnhof der Deportation Ihrer Familie eine Schwelle gestohlen haben? Biermann: Als ich meinem Freund, dem alten Dichter Natan Zach aus Tel Aviv, die Gleise dieses Bahnhofs zeigen wollte, waren sie plötzlich weg. Ich war entsetzt, dass Hamburg mein reales Holocaust-Denkmal einfach geräumt hatte. Mit meinem Sohn Til habe ich dann die letzte Bahnschwelle, die da noch lag, geklaut. Wir wurden dabei beobachtet. Zwei Polizisten kamen zu uns nach Hause. Ich habe ihnen erklärt, dass wir die Schwelle nicht geklaut, sondern als Schuldige "verhaftet" haben. Diese Schwelle aus guter deutscher Eiche hätte sich vor Entsetzen erheben müssen, als meine Familie in die Erschießungsgruben nach Minsk transportiert wurde. Der jüngere Polizist dachte, er sei in einer Irrenanstalt gelandet. Der Ältere verstand. Die Schwelle habe ich konfisziert, und aus den acht rostigen Schwellenschrauben habe ich mir unser kleines Holocaust-Denkmal gemacht. Es berührt mich mindestens so tief wie das große Mahnmal in Berlin.

profil: 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer merkten Sie in einem "Spiegel"-Gespräch an, es habe an Ihren widerständigen Eltern gelegen, dass Sie die Diktatur in der DDR so viel radikaler als andere attackiert hätten. Sie sagten: "Immer, wenn ich schlappmachte und feige wurde, kam mein toter Vater von der Auschwitz-Wolke heruntergesprungen und sagte: ,Los, du kleiner Feigling. Hier steht nur dein Wohlleben auf dem Spiel, nicht dein Leben.'" Biermann: Ja, es spielt eine entscheidende Rolle, dass meine Leute im Widerstand waren und eben keine Nazis. Weil ich mich nicht schämen musste, wie die schuldlosen Kinder der Nazis, und darum im Konflikt mit den Stalinisten Walter Ulbricht und Erich Honecker viel frecher, viel radikaler war. Auch darin bleibt mir mein Vater ein Vorbild, denn er war innerhalb der kommunistischen Partei kein Stalinist. Wäre er, wie so viele deutsche Kommunisten, aus Nazi-Deutschland in die Sowjetunion entkommen, hätte er nicht das Privileg gehabt, in Auschwitz ermordet zu werden.

profil: Die Ermordung in Auschwitz als Privileg? Biermann: In dieser Hinsicht ein makabres Privileg. Es ist besser, wenn man von seinen Nazi-Todfeinden und nicht von seinen Genossen ermordet wird. Das ist noch schrecklicher. Mein Vater wäre als Kommunist in einem kommunistischen Lager umgekommen.

profil: Die Rechtspopulisten von der AfD bezeichneten Sie als "stinkenden Resthaufen der Nazizeit". Woher kommt der Zulauf zu dieser Partei im Osten Deutschlands? Biermann: In einem Sonett, das ich 2016 für Angela Merkel und gegen unsere rechts-linken Populisten schrieb, steht am Ende der Satz: "Gelernten Sklaven tut Freiheit halt weh." Die AfD und die SED/PDS/Linke umwerben die Erben zweier Diktaturen. Die DDR-Bürger sind doppelt geschlagen, weil sie, anders als die Westdeutschen, das historische Unglück hatten, von einer Diktatur in die nächste zu geraten. Der Aufbau neuer Straßen, Fabriken und Städte braucht weniger Zeit als die Heilung dieser totalitären Wunden. Aber man darf nicht übersehen, dass die große Mehrheit der Ostdeutschen Demokraten sind.

profil: Interessiert Sie zuweilen, was sich in Österreich tut? Biermann: Natürlich. Ich hatte immer gute Freunde in Österreich wie Ernst Fischer, Qualtinger, Lou Eisler, Kari Schwarzenberg und Hugo Portisch. Und im Mai trete ich mit meiner Frau Pamela und dem Freejazz ZentralQuartett auf dem Jazzfestival in Imst auf. Meine Lieder -schön verjazzt. profil: Beobachten Sie die politischen Wendungen und Windungen? Biermann: Sicher, immer, den Herrn Kurz etwa, der zuerst eine vertrackte Liebesheirat mit den Braunen und nun mit den Grünen macht.

profil: Von einer Liebesheirat sprechen weder Kurz noch die Grünen. Haben Sie bestimmte Erwartungen an die Grünen als Regierungspartei? Biermann: Ja. Ich hoffe, dass sie ökologische Ziele verwirklichen, ohne die Landwirtschaft durch bürokratische Auflagen zu lähmen. Das geht zu Lasten der Bauern.

profil: Die letzte Frage können Sie beantworten: Bruno Kreisky besuchte nach Ihrer Ausbürgerung aus der DDR 1976 als erster westlicher Regierungschef offiziell Ostberlin. Der damalige Ministerpräsident Willi Stoph soll Kreisky gestanden haben, der Umgang mit Ihnen sei "doch eher ein Fehler gewesen". Entspricht dieses Eingeständnis den Tatsachen? Biermann: Gewiss. Sogar Erich Honecker wurde einmal von einem kecken Westjournalisten außerhalb des Vereinbarten nach der Causa Biermann gefragt. Honeckers unerwartete Antwort: "Ja, die Ausbürgerung von diesem Biermann, das war der einzige große Fehler, den wir in der Kulturpolitik gemacht haben."

*) Peter Huemer im Gespräch mit Wolf Biermann, 26. Jänner, 11 Uhr, Stadtsaal, 1060 Wien, anlässlich einer Benefizveranstaltung des Psychosozialen Zentrums ESRA