Wie sieht Ihre Arbeitsroutine aus? Schreiben Sie immer zur gleichen Tageszeit?
Allen
Ja, ich stehe gegen sechs Uhr auf, frühstücke und mache meine Übungen. Etwa um neun setze ich mich an die Schreibmaschine. Aber eine Religion mache ich aus meinem Zeitplan nicht.
Ihren jüngsten Film haben Sie in Paris gedreht, auf Französisch. Beherrschen Sie diese Sprache?
Allen
Sehr schlecht, aber ich kann auf Französisch Nein sagen und mich auf tiefem Niveau verständlich machen.
Befürchteten Sie nicht, dass Ihr sehr spezifischer New Yorker Witz sich in der Übersetzung ins Französische verlieren könnte?
Allen
Das befürchte ich bereits mein ganzes Leben. Ich habe noch nie begriffen, wie meine Art der Komik außerhalb der USA verständlich bleiben konnte. Und doch hatte ich Erfolge auf der ganzen Welt. Wie die Leute in China, Japan, Thailand, Argentinien und Israel sich auf meine Komödien einstellen, verstehe ich bis heute nicht. Aber irgendwie funktioniert es.
Darf man Ihre Filme altmodisch nennen? Oder sähen Sie diese lieber in Kontakt mit der Gegenwart?
Allen
Ich gehe meinen eigenen Weg. Wenn ich eine Idee für einen Film habe und diese sehr gegenwärtig erscheint, passt mir das genauso wie ein historischer Stoff. Ich bin nur dankbar, dass mir die Ideen bislang nicht ausgegangen sind.
Sie bleiben auch mit „Ein Glücksfall“ bei Ihren Themen und Tonfällen, bei einer Gesellschaftskomödie über irrationale Männer, Verbrechen und andere Kleinigkeiten, über Eifersucht und Mord. Aber die Welt um uns herum hat sich doch sehr verändert, hat neue Moralvorstellungen und Empfindlichkeiten entwickelt. Ist das für Sie kein Problem?
Allen
Nein. Ich mache einfach meine Filme für das wenige Geld, das man mir dafür gibt. Und ich hoffe, dass die Leute die Ergebnisse dann auch mögen.
Würden Sie denn gern teurere, größere Filme machen?
Allen
Ich hätte gerne für die Filme, die ich plane, ein bisschen höhere Budgets. Man hört unentwegt von Produktionen, die 150 oder 200 Millionen Dollar gekostet haben. Meiner kostete zwölf Millionen. Ich könnte mehr Geld gut gebrauchen, um ein paar meiner zusätzlichen Ideen umzusetzen – keine gigantischen Fantastereien. Aber vielleicht ist die Welt ohne diese Ideen ohnehin besser dran.
Sie machen Filme für Erwachsene. In solche Werke wird, in der Ära des Superheldenkinos, eben nicht mehr gerne investiert.
Allen
Ich gehe stets davon aus, dass mein Publikum schlauer ist als ich. Ich meine, ich war nie am College, lese kaum Bücher, bin nicht sonderlich gebildet. Aber ich will Filme machen, die auch klügere Menschen als mich interessieren. Also versuche ich, mich diesen Leuten anzunähern, um sie nicht zu langweilen.
Haben Sie in den sechs Jahrzehnten Ihrer Kinokarriere nicht das Gefühl gehabt, dass sich die Filmlandschaft sehr gewandelt hat? Nur noch ein Bruchteil jener Zuschauermassen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren ins Kino gingen, sieht sich dort heute noch Filme an.
Allen
Ja, das ist fürchterlich. Der Film war einst Amerikas großes Unterhaltungsmedium. Heute hat sich diese Industrie auf eine Serie von Blockbustern reduziert, mit denen immer noch Milliarden eingespielt werden können. Gigantische Filme für den kleinsten gemeinsamen Nenner. Viele der großen und legendären Filme der Nachkriegszeit könnten heute niemals mehr entstehen. Die Leute bleiben zu Hause, um Filme, die ohnehin nur ein oder zwei Wochen lang im Kino laufen, danach auf ihren Riesen-Flatscreens zu sehen. Das Filmgeschäft hat sich radikal verändert. Der letzte Nagel, den man in diesen Sarg gehämmert hat, war die Pandemie. Damals wurde den Leuten klar, dass sie gar nicht zurückwollten in die Kinos, die Büros, die Schulen und ihre Therapiesitzungen. Deshalb weiß ich auch nicht, ob ich überhaupt noch Filme drehen mag. Warum sollte ich ein Jahr lang an einem Film arbeiten, wenn der dann im Fernsehen verloren geht? Ich drehe meine Werke für Hunderte Menschen in einem großen dunklen Saal, nicht für zwei Leute in einem Schlafzimmer.
Sie bewegen sich gern entlang der Grenze zwischen Lustspiel und Melodram. Machen Sie sich über Ihre Figuren noch lustig – oder kritisieren Sie diese schon?
Allen
Weder noch. Ich hielt es nur für eine gute Idee, die enorme Bedeutung aufzugreifen, die Zufall und Schicksal in unseren Leben spielen. Und diese spielen uns manchmal eben ironisch mit.
Der Antiheld dieser Erzählung ist ein Finanzhai, ein pathologisch eifersüchtiger und mordlüsterner Ehemann, eigentlich eine Art Vampir, dessen infantile Seite in der Spielzeugeisenbahn veranschaulicht wird, mit der er in seinem Keller leidenschaftlich spielt. Sie wollen behaupten, dass Sie sich über diesen Mann nicht lustig machten?
Allen
Ja. Denn ich denke, viele Leute fühlen und handeln wie er. Vielleicht nicht ganz so extrem am Ende, aber ähnlich. Und einige morden auch aus possessiver Eifersucht.
Sie berichten von zerstörerischer Energie.
Allen
In den meisten Fällen ist sie nicht tödlich, aber schmerzhaft wirkt sie doch.
Ihre Inszenierungen sind stets ganz schlicht. Was bedeutet Ihnen Einfachheit?
Allen
Es ist wichtig, erzählerisch klar zu sein. Ich will nicht, dass mein Publikum damit kämpfen muss, die Figuren oder den Plot zu verstehen, will es nicht mit trickreichen Schnittfolgen und Kameraperspektiven belasten. Es soll eine simple Erfahrung machen, sich auf Charaktere und Story einlassen können. Man soll nicht erdrückt werden von der stilistischen Egozentrik der Regie oder des Drehbuchs. Und wenn man Komödien macht, muss man noch simpler arbeiten. All die formalen Tricks, die in dramatischen Filmen fallweise funktionieren, zerstören eine Komödie zuverlässig.
Ihr alter Held Ingmar Bergman hat doch viele rätselhafte, stark prätentiöse Kunstfilme gemacht.
Allen
Bergman ist ein Missverstandener, den viele für einen unzugänglichen Intellektuellen halten. Tatsächlich aber war er auch ein großer Entertainer, dessen beste Filme extrem unterhaltsam sind: „Wilde Erdbeeren“, „Das Gesicht“, „Das siebente Siegel“ oder „Persona“, das sind mitreißende, alles andere als langweilige Werke. Es sind die Arbeiten eines großartigen Geschichtenerzählers.
Ihre Memoiren haben Sie unlängst „Apropos of Nothing“ genannt. Ihre Karriere als „nichts“ zu bezeichnen – fällt das nicht unter Koketterie?
Allen
Es war vielleicht nicht nichts, aber am Ende summiert sich doch alles zu einem großen Nichts. Wir leben in einem Universum, das sich in gewaltiger Geschwindigkeit auflöst. Wir werden das nicht erleben, aber irgendwann wird es keine Sonnen und Planeten mehr geben. Die Erde wird zu existieren aufhören. In astronomischen Zeitkonzepten sogar schon relativ bald. Das Nichts, auf das sich mein Titel bezieht, ist das Nichts der Existenz im Weltall.
Diesem Existenzialismus begegnen Sie gern mit klingender Lebensfreude: Sie unterlegen Ihre Filme seit Jahrzehnten mit jazzigen Soundtracks. Wählen Sie diese Stücke selbst aus?
Allen
Klar. Es macht mir beim Filmemachen am meisten Spaß, meine Plattensammlung einzubauen. Das französische Kino um 1960 war sehr geprägt von modernem Jazz, von Leuten wie Cannonball Adderley, Art Farmer und Herbie Hancock.
Soll Ihr 50. Film tatsächlich Ihr letzter sein?
Allen
Ich könnte noch einen Film machen, aber man müsste es mir sehr leicht machen. Ich mag nicht mehr darum kämpfen müssen. Es müsste jemand auf mich zukommen mit dem Budget für meine Ideen. Diesem Angebot könnte ich wahrscheinlich nicht widerstehen. Aber ich werde mich nicht mehr darum bemühen. 50 Filme sind ja genug.