Interview

Woody Allen über Geld, Kinokrise und das Nichts der Existenz

Komödien-Veteran Woody Allen, 88, bringt dieser Tage seinen möglicherweise letzten Film in die Kinos. Im Gespräch mit profil nennt der New Yorker das Regieführen bloß „ein Hobby“ und verteidigt die Schlichtheit seiner Inszenierungen.

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Seit der ungeklärte Vorwurf, er habe seine Adoptivtochter einst sexuell missbraucht, gegen ihn publik wurde, sind Interviews mit dem Regisseur und Autor Woody Allen schwierig geworden. Keinerlei Fragen zu heiklen Themen, zu Allens Freundschaft etwa mit dem Investmentbanker und Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, aber beispielsweise auch zum Krieg im Nahen Osten seien zugelassen, richten die Medienprofis um den betagten New Yorker bereits im Vorfeld aus.

Allen ist, schuldig oder nicht, ein Gecancelter. Seit sieben Jahren kam keiner seiner Filme in den USA mehr in die Kinos. Die Hollywood-Prominenz, die noch vor wenigen Jahren ganz dringend mit ihm arbeiten wollte, hat sich verflüchtigt. Große Namen findet man auch in Allens jüngstem Werk, in „Coup de chance / Ein Glücksfall“ (Österreich-Kinostart: 11. April) nicht. Der Franzose Melvil Poupaud ist da noch der bekannteste. Er spielt einen schwerreichen Geschäftsmann, der die Affäre seiner jungen Ehefrau (Lou de Laâge) mit einem ehemaligen Schulkollegen (Niels Schneider) aufs Brutalste missbilligt.

Die Pariser Society-Tragikomödie, die Allen aus diesem recht belanglosen Plot strickt, ist von großer Schlichtheit – und nicht im allerbesten Sinn. „Ein Glücksfall“ wirkt über weite Strecken wie ein well made play, wie eine dialogintensiv angelegte Moritat, die Allen natürlich erneut mit Jazz-Standards, etwa „Cantaloupe Island“, umgarnt. Dabei macht er einfache Fronten auf, setzt die Misanthropie der Superreichen gegen das Spielerische der Bohème, die Groteske übersteigerter Eifersucht gegen die Offenheit jugendlicher Lebenskünstler. Leider nimmt Allen sich selbst nicht ernst in dieser zynischen Mär vom Zusammenspiel des Zufalls und der menschlichen Unzulänglichkeit, in dem Verrat, den er an seinen eher unklug agierenden Figuren begeht.

Die italienische Kamera-Legende Vittorio Storaro („Der letzte Tango in Paris“; „Apocalypse Now“) hält Woody Allen seit bald zehn Jahren die Treue, wenn er auch in diesem neuen Film nicht besonders inspirierte Bildwelten heraufbeschwört: Das Paris der Gegenwart sieht wenig magisch aus, und der bunte Herbstwald, in dem das Ensemble seinen Showdown und einen letzten Kalauer erlebt, entschädigt nur ansatzweise für die fernsehhaften Innenraumszenen.

Woody Allen, geboren in der New Yorker Bronx, hackt seine Werke seit den 1950er-Jahren täglich in die Tastatur einer Olympia-Schreibmaschine, 88 Jahre ist er inzwischen alt. Mit schwacher Stimme, sachlicher Attitüde und allerdings ungebrochen pointierten Formulierungen meldet er sich via Zoom, sitzt leicht gebeugt, fast bewegungslos im Bild – und harrt der Fragen.

„Ein Glücksfall“ ist, wenn ich richtig gezählt habe, Ihr 50. Film. Das ist beeindruckend: 50 Filme in 60 Jahren – neben all Ihren Fernseh- und Theaterarbeiten, Kurzfilmen und Musikprojekten? Sind Sie von Arbeit besessen?
Allen
Besessen würde ich es nicht nennen. Aber das Filmemachen gefällt mir. Es ist ein Hobby, wie Fischen oder Golfspielen. Es macht Freude. Meine Obsessionen sind jedoch ganz andere: faulenzen, daheim bleiben und entspannen beispielsweise. Ich liebe es, Musik zu hören und Sportübertragungen im Fernsehen zu verfolgen. Tatsächlich steht das Filmemachen nicht sehr weit oben auf der Liste meiner größten Interessen.
Die Regisseure Robert Bresson und Stanley Kubrick haben in 50 Jahren jeweils 13 Filme inszeniert. Sie sind da doch um einiges produktiver.
Allen
Das ist nicht so schwierig. Ein Film im Jahr, mein Gott, das ist ja keine Raketenwissenschaft. Man erfindet nichts, die Quantentheorie wird nicht neu geschrieben werden müssen. Man werkt zwei, drei Monate lang am Drehbuch, dann dreht und schneidet man für ein paar weitere Monate – und wenn der Film fertig ist, haben Sie immer noch mehrere Monate Freizeit, um den nächsten ins Auge zu fassen.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.