Wortwörtlich erfunden: Kommentar zum Eklat um Robert Menasse
Ein „Fälscherskandal“, von dem manche Zeitungen derzeit erregt berichten, steckt in den aktuellen Ereignissen um Robert Menasse nicht. Mit den fingierten Reportagen eines Claas Relotius haben die Zu- und Überspitzungen eines Schriftstellers nichts zu tun. Der Feuilleton-Tumult der vergangenen Tage um die Causa Menasse zeigt lediglich, welche Blüten Narzissmus und Polemiksehnsucht in einem bestimmten Typ des Diskursstars treiben können.
„Das Wortwörtliche“ kümmert Menasse nicht
Menasse hatte in Zeitungsartikeln und Vorträgen dem einstigen EWG-Kommissionsvorsitzenden und CDU-Politiker Walter Hallstein (1901–1982) ein Zitat in den Mund gelegt, das dieser nie geäußert hat („Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee“), und fälschlich behauptet, Hallstein habe 1958 in Auschwitz, ausgerechnet an diesem zentralen Schauplatz der Massenvernichtung, seine Europa-Antrittsrede gehalten. Als aufflog, dass all das niemals stattgefunden hat, reagierte Menasse erst gar nicht, dann mit dem erstaunlichen Argument, „das Wortwörtliche“ kümmere ihn nicht, nur die Gesamtzusammenhänge.
Kaltschäuzigkeit und Vertrauen
Hätte Menasse schlicht zugegeben, dass er da wohl einiges durcheinandergebracht habe, und sich für seine fehlerhaften Angaben gleich entschuldigt (wie er es am Freitag vergangener Woche doch noch getan hat) – die Sache wäre schnell erledigt gewesen. Auch Intellektuelle sind fehlbar und dazu in der Lage, an Dinge zu glauben, die sie sich selbst, zur besseren Absicherung ihrer Thesen, irgendwann zurechtgelegt und durch bloße unwidersprochene Wiederholung wie Tatsachen zu behandeln begonnen haben.
Aber die Kaltschnäuzigkeit, mit der Menasse die legitimen Vorwürfe, die ihn nun erreichen, einfach abtat mit dem Hinweis darauf, dass er zwar gelogen habe, aber nur im Sinne seiner Wahrheit, dass er schließlich kein Journalist oder Wissenschafter, sondern „Dichter“ sei, stürzt den Gesellschafts- und Zeitdiagnostiker Robert Menasse in eine veritable Vertrauenskrise.