Wovor haben Sie Angst, Mr. Sacco?

Joe Sacco, Pionier der Comic-Reportage, spricht bei den Erich-Fried-Literaturtagen erstmals in Österreich über seine Arbeit.

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Interview: Stephan Wabl

profil: Ihre Comic-Reportagen über Palästina und den Krieg in Bosnien machten Sie bekannt. Ist Ihre Arbeit Kunst oder Journalismus? Sacco: Meine Bücher verbinden beides. Wenn ich unterwegs bin, agiere ich wie ein Journalist, mache Interviews und versuche, Hintergründe zu verstehen. Ich stelle meine Fragen aber so, dass ich die Geschichte später visuell gut erzählen kann.

profil: Sie sind meist selbst Teil Ihrer Geschichten. Eröffnet dieser Zugang andere Perspektiven? Sacco: Für mich ist es, als säße ich mit meinen Lesern an einem Tisch und erzählte ihnen von den Menschen, die ich getroffen habe. Dabei kann ich meine Erlebnisse nicht unberücksichtigt lassen. In Bosnien wurde ich in Goražde von den Einwohnern gefragt, ob ich für sie Briefe mitnehmen könnte. Die Stadt war durch den Krieg von der Außenwelt abgeschnitten. Ich war als Journalist jedoch in der Lage hinauszukommen und wurde als „Briefträger“ Teil der Geschichte. Dies zu erzählen war viel stärker als jeder distanzierte Zugang.

Ich möchte von der menschlichen Natur erzählen.

profil: Im Vergleich zu Zeitungsreportagen nehmen Sie sich viel Zeit. Sacco: Viele meiner Arbeiten benötigen Jahre. Ich wähle Storys aus, die mich nachhaltig berühren und auch in Zukunft relevant sein werden. Meine Reportagen beschäftigen sich zwar häufig mit aktuellen Konflikten. Mir ist es aber wichtig herauszuarbeiten, wie wir uns in schwierigen Situationen verhalten. Ich möchte von der menschlichen Natur erzählen.

profil: Sie haben sich kritisch mit der Amtszeit von Barack Obama beschäftigt. Reizt Sie ein Buch über Donald Trump? Sacco: Trump hat genügend Aufmerksamkeit. Er ist ein Narzisst und Soziopath, letztlich auch ein Symptom für den Zustand Amerikas. Seine Eskapaden lenken von den tiefer gehenden Problemen nur ab. Fragen zum Umweltschutz oder Armutsbekämpfung interessieren mich mehr als die Person Trump.

An Österreich interessiert mich der Aufstieg der Rechtspopulisten.

profil: Sie sind zum ersten Mal beruflich in Österreich. Welche Themen sind hier für Sie spannend? Sacco: Ich war privat einmal in Wien und sah mir das Auto an, in dem Kronprinz Franz Ferdinand erschossen wurde. An Österreich interessiert mich der Aufstieg der Rechtspopulisten. Aber das ist bekanntlich kein spezifisch österreichisches Phänomen.

profil: Sie sind Gast der Erich-Fried-Tage, die unter dem Motto „KEINE | ANGST vor der Angst“ stattfinden. Wovor haben Sie Angst? Sacco: Ich empfinde gesunden Respekt vor Maschinen und Dingen, die mich verletzen könnten. Ich habe Angst davor, mich unbekannten Situationen auszuliefern. Aber noch mehr fürchte ich mich davor, mich nicht in eine Arbeit stürzen zu können, von der ich fühle, dass ich sie unbedingt umsetzen sollte.

Zur Person Joe Sacco, 59 Der amerikanisch-maltesische Illustrator und Journalist gilt als Pionier der Comic-Reportage. Anfang der 1990er-Jahre veröffentlichte er seine Reisegeschichten über Palästina, die ihn weltbekannt machten. Für „Bosnien“, sein Buch über den Balkankonflikt, erhielt Sacco 2001 den renommierten Eisner Award. Sein aktuelles Projekt „Paying the Land“ beschäftigt sich mit der Entwurzelung der Ureinwohner im Nordwesten Kanadas und soll kommendes Jahr erscheinen. Im Rahmen der Erich-Fried-Literaturtage (26. November bis 1. Dezember) spricht Sacco am 30. November ab 18:30 Uhr im Literaturhaus Wien über seine Arbeit.