Xenia Hausner: Die expressiven Welten der Wiener Malerin
Es seien "Zuggemetzel“, die sie da gemalt habe, sagt Xenia Hausner ironisch über ihre jüngsten Bilder: junge Menschen an einem Eisenbahnfenster, die in dynamischen Kompositionen, mit ernsten Gesichtern voneinander Abschied nehmen, sich einander entgegenstrecken; die einen lehnen sich - halb zieht man sie, halb sinken sie hin - aus dem Inneren nach außen, die anderen drängen sehnsüchtig zu ihnen heran. Tatsächlich heißt die Serie aus drei großformatigen Gemälden, die Flucht und Migration ebenso assoziieren lassen wie Reisemelancholie und Teenager-Alltag, schlicht "Exiles“. In Venedig stellt Hausner die Arbeiten ab Ende dieser Woche, parallel zur Kunst-Biennale, im Palazzo Bembo aus; an einer anderen Schau namens "Glasstress“, die im nahegelegenen Palazzo Franchetti organisiert wird, nimmt sie zeitgleich ebenfalls teil.
In Xenia Hausners weitläufigem Wiener Atelier, das hinter einer Reihe schwermetallener Türen nahe dem Hauptbahnhof, am Gelände der ehemaligen Alpenmilchzentrale liegt, finden sich unzählige Werke und einige der selbst errichteten Sets, vor denen die Modelle der Künstlerin erst posieren müssen, ehe die Motive sich in Malerei verwandeln. Auch der "Exiles“-Schauplatz, die Fassade jenes Zugs, der in den drei neuen Werken auftaucht, steht als schmucklos zusammengestückelter Kartonbau im Raum; ein zweiter Blick auf die Gemälde offenbart, dass sich die Künstlichkeit der Vorlage in die Bilder transportiert hat: Der Zug, mit dem die Jugendlichen sich Richtung Nirgendwo aufzumachen scheinen, ist sichtlich aus Pappendeckel gemacht - eine gewollte Schimäre, die Kulisse eines Schauspiels.
Die Fotografien, die Xenia Hausner mit ihren Schauspielern - so nennt sie die Menschen, die in ihren Bildern auftauchen - anfertigt, seien bloß grobe Ausgangspunkte, erklärt sie, eine Art Rohstoffsammlung. Das Foto, das am Ende zur Vorlage eines Gemäldes wird, das man als Fragment einer rätselhaften Erzählung sehen kann, wirft sie im Prozess des Malens jedes Mal wieder über den Haufen. Den Details der Fotografie fühlt sie sich nicht verpflichtet. Sie lege täglich Widerspruch ein, sagt sie mit rauer Stimme und robustem Witz: Widerspruch gegen sich selbst.
"Wutschreie und Begeisterung“
Als Xenia Hausner in den 1990er-Jahren, nach einer veritablen Karriere als Bühnenbildnerin, mit ihrer figurativen Malerei auf die Bildfläche trat, waren die Reaktionen gespalten. "Wutschreie und Begeisterung“ habe sie geerntet, erzählte sie einmal. In der Wiener Kunstszene war damals gerade die Konzeptkunst en vogue, neue Formate wie Videoarbeiten fanden zunehmend Verbreitung, die Institutionskritik befragte die Kunst und ihre Mittel selbst. Die Malerei der Neuen Wilden, die in den 1980er-Jahren geboomt hatte, schien etwas aus der Mode. Und die Kunsttheorie stand der Malerei äußerst kritisch gegenüber, vermutete mancherorts gar deren baldiges Ableben.
Diese Skepsis ist gewichen, längst gilt Malerei nicht mehr als uncool. Doch bis heute polarisiert Hausner, zumindest in Wien, wie sie selbst lakonisch anmerkt. Warum das so sei? "Keine Ahnung! Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Es gibt eben Begeisterung und unversöhnliche Ablehnung.“ Einige bedeutende heimische Institutionen widmeten ihr Einzelausstellungen - in Wien die Kunsthalle und das Kunsthaus, in Klosterneuburg die Sammlung Essl; auch an Aufträgen mangelt es ihr keineswegs, Porträts von Prominenten bis hinauf zu Heinz Fischer zeugen davon. Doch eine Stammgalerie in ihrer Heimatstadt, die ihr Werk langfristig begleiten würde, fehlt bis heute - auch wenn sie punktuell immer wieder mit hiesigen Galeristen arbeitet. Ihre Gemälde sind bei Händlern über den ganzen Globus - in den USA, Australien und Asien - zu erwerben. Bei den zahlreichen Events der Wiener Kunstszene wird man Hausner, die in Berlin schon seit Vor-Mauerfall-Zeiten ein zweites Atelier führt, nur sporadisch antreffen. Allerdings beteuert sie, sich keineswegs bewusst davon fern zu halten. "Ich bin eben gern in Berlin, das war immer eine tolle Stadt für Künstler: das New York Deutschlands, grob, uncharmant, aber sehr lustig. Aber offenkundig bin ich Masochistin oder zumindest ein sentimentaler Trottel, dass ich auch so gern in Wien bin. Und das sicher nicht, weil mich hier alle so lieb haben.“ Als Klage möchte sie dies, wie sie hinzufügt, aber keineswegs verstanden wissen: Wehleidigkeiten liegen ihr fern.
In der österreichischen Gegenwartskunst ist Xenia Hausner mit ihrer prachtvollen Malerei ein Unikum. Die physische Präsenz ihrer Figuren, die Art, wie sie deren Haut, deren Fleisch plastisch wiedergibt: Das ließe sich noch am ehesten mit der intensiven Malerei des 2011 verstorbenen Briten Lucian Freud vergleichen, der mit seinen oft üppigen Aktgemälden in den vergangenen Jahren zu den teuersten Künstlern des 21. Jahrhunderts aufstieg. "Ich finde Lucian Freud beeindruckend“, sagt Hausner. Er habe allerdings ganz andere Farben als sie - "eine umbra- und rembrandthafte Palette, eine sehr eigenartige, aber hochinteressante Farbigkeit, die es auch bei den jüngeren rumänischen Malern wie Adrian Ghenie gibt“. Die Malerei David Hockneys liegt ihr ebenfalls nahe - sie schätzt das farbige Moment und die offene Flächigkeit in seinen Arbeiten.
Keine glamouröse Kindheit
1951 wurde Xenia Hausner in eine, wie sie ironisch erzählt, "sozialistische kleine Kämpferzelle“ hineingeboren, die sich "allein gegen alle“ positionierte. Ihr Vater war der Maler Rudolf Hausner (1914-1995), der zum inneren Kreis der Phantastischen Realisten gezählt wird - der ersten wichtigen Kunstströmung in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, einer Richtung, die auf dem Surrealismus aufbaute. Einige Jahrzehnte lang zählte er zu den erfolgreichsten Künstlern Österreichs, lehrte auch an Akademie der bildenden Künste am Wiener Schillerplatz. Glamourös darf man sich ihre Kindheit nicht vorstellen, betont Hausner: "Der Erfolg war damals ja noch nicht so da, wir haben eher Zeiten der Beschränkung erlebt. Erst in den 1970er-Jahren hat sich das geändert.“ Wenn die Eltern abends ins Kino gingen, malte die Tochter gern ein paar eigene Striche in die halbfertigen Bilder des Vaters und wartete gebannt darauf, dass man ihr Zutun entdecken würde - aber sie musste meist erst darauf hinweisen. Sie habe eben sehr diskret agiert, lacht sie.
Später studierte Hausner Jus und danach, ebenfalls am Schillerplatz, Bühnenbild - allerdings keineswegs, um sich vom malenden Vater abzugrenzen: Die Malerei sei zunächst gar nicht in ihrem Fokus gewesen. Sie habe sich für Architektur und Literatur interessiert, auch für Fotografie. Da habe sich Bühnenbild als Zusammenführung dieser verschiedenen Interessensgebiete angeboten. So sehr die künstlerischen Zugänge von Vater und Tochter sich unterscheiden, eines verbindet sie doch: die Kontinuität ihres Œuvres. Sein Markenzeichen wurde die Figur des "Adam“, die er unzählige Male durchexerzierte. Ebenso besitzen die inszenierten Bildnisse Xenia Hausners hohen Wiedererkennungswert. "Für ein langes Künstlerleben sind Wiedererkennbarkeit und Wandlungsfähigkeit notwendig, das widerspricht sich nicht. Es gibt einen Grundton im Werk, aber man erfindet sich immer wieder neu. Mit einem einzigen Einfall kommt man nicht durchs Leben - zumindest nicht durchs Atelierleben“, betont sie noch.
Häufig scheinen ihre Kompositionen einen ungewöhnlichen Augenblick, einen Ausschnitt aus einer größeren Erzählung festzuhalten: Im Auto umarmt eine Frau eine andere, während eine dritte, sichtbar durch die Windschutzscheibe, am Kühler liegt. Zwei junge Frauen halten gemeinsam eine gigantische Tube Tomatenmark in den Armen. Zwei Menschen mit Masken betrachten einen Basketball in einem Aquarium - ein Kunstwerk von Jeff Koons. Hausners Strich ist expressiv, ihre Farbpalette kräftig, oft dominieren Rot- und Blautöne. Dabei stoßen bisweilen Dinge aneinander, die in der Welt jenseits der Kunst nicht viel miteinander zu tun haben: Da steht ein Mann mit einer Sense hinter einem fein ornamentierten Sofa, balanciert eine Kuchenschachtel auf dem Körper einer Liegenden. Von der "Mesalliance als Kunstprinzip“ sprach die Kunsthistorikerin Katharina Sykora 2005 über Hausners Arbeiten: "Sie machte die scheinbare Einheit, die wir im Bild, in der Figur, in der Konfiguration, so gern kompensatorisch für eine zerfallende Weltsicht wahrhaben wollen, wieder unheimlich“, schrieb sie.
Wenn Bilder nicht gelingen, müssen sie so zersägt werden, dass sie nicht noch aus der Mülltonne wieder rausgefischt werden können. (Xenia Hausner)
Mehr als zehn oder zwölf Arbeiten im Jahr schafft Xenia Hausner nicht. "Ich führe eine Liste, aber ich schau da selten rein, das sind so innere Kurven, mit denen man vor sich selbst am Prüfstand steht.“ Für manche Werke brauche sie besonders lange, die drei, Exiles’-Bilder allein "haben sicher ein Jahr in Anspruch genommen - wenn auch natürlich nicht durchgehend. Ich arbeite nie nur an einem Bild allein, das ginge gar nicht, ich würde wahnsinnig werden. Man muss oft auch wegschauen, die Dinge liegen lassen, umsteigen auf andere Themen. Das funktioniert nur so.“
Missratenes entsorgt sie mit ihrem Assistententeam radikal: "Wenn Bilder nicht gelingen, müssen sie so zersägt werden, dass sie nicht noch aus der Mülltonne wieder rausgefischt werden können.“ Manchmal schneide sie gelungene Stellen aus einem Bild, mit dem sie hadere, und es entstehe "etwas Neues auf den Trümmern“. Letztlich sei alles, woran sie arbeite, bewusst fragmentarisch: Lebensbruchstücke ohne eindeutige Antworten. Die Dinge ambivalent zu halten, "im Halbdunkel hängen zu lassen“, darum geht es ihr auch.
Den in den letzten Jahren stark gestiegenen Marktwert ihrer Arbeit unterspielt sie gern ("Ich kann mich ernähren“), er sei letztlich auch nur eine Folge des globalisierten Kunstmarkts. Mit der ökonomischen Entwicklung sei sie jedenfalls "nicht unzufrieden“, aber malen müsse und könne man trotzdem nur, was einem wirklich nahegeht. "Was in der Welt vor sich geht, muss mit der inneren Uhr zusammenfallen, dann entsteht ein authentisches Werk.“ Sie male wohlgemerkt kein Bild, um politisch aktuell zu sein, sondern grundsätzlich nur, "weil ich Lust drauf habe. Aber ich lebe in dieser Welt und nehme all das, was um mich herum passiert, bewusst war. Das findet seinen Niederschlag. Mich interessiert Politik - Migration, Populismus, abstrafende Wahlen, die scheinbare Options-und Perspektivlosigkeit, die auseinanderklaffenden Scheren sind die Themen, die uns heute bewegen.“ Die gegenwärtige Verfasstheit der westlichen Demokratien betrachtet sie mit Misstrauen - und teilt Schelte aus: "Politiker sollten dem sogenannten, Souverän‘, der Wählerschar, ausdrücklich kritisch begegnen: Die Menschen müssten sich, ehe sie zur Urne schreiten, erst einmal für die Dinge, über die sie abstimmen, interessieren, sich über diese informieren. Der Souverän sollte nicht nur da sitzen wie eine Qualle und sich selbst gefallen. Das ist ein Missverständnis von Demokratie.“
Eine "latente Panik“ ortet der Schriftsteller Philipp Blom in Hausners "Exiles“-Serie. Tatsächlich ging die Künstlerin von Nachrichtenbildern Geflüchteter aus. "Diese Menschenmassen, die nicht wissen wohin und sich zu erdrücken drohen, waren für mich erschreckend und faszinierend zugleich, das sickert ein, und irgendwann entsteht ein Einfall, aus dem ein Bild werden kann.“ Mit den Außenseitern in ihren Bildern identifiziert sie sich übrigens stark, analog zu Flauberts berühmtem Satz: "Madame Bovary, c’est moi“. Für "Glamour-Puppies“ interessiere sie sich eben nicht. "Meine eigene Unzugehörigkeit fährt im Zug sozusagen mit.“ Die nächsten Haltestellen: Erkenntnis, Widerstand, Zivilcourage.