Zensur gegen missliebigen Künstler?
Das Unternehmen YouTube, eine Tochter des Google-Konzerns, schickte am 2. August elektronische Post an den Filmemacher Oliver Ressler. Absender: eine No-reply-Adresse. Im Betreff steht: „Oliver Ressler, we have removed your channel from YouTube.“ Der Tonfall der profil vorliegenden E-Mail ist befremdlich: „Wir haben Ihre Inhalte geprüft und dabei schwerwiegende oder wiederholte Verstöße gegen unsere Community-Richtlinien festgestellt. Daher haben wir nun Ihren YouTube-Kanal entfernt.“ Und weiter: „Uns ist bewusst, dass dies vermutlich eine erschütternde Neuigkeit für Sie darstellt, aber es ist unser Job, dafür zu sorgen, dass YouTube ein sicherer Ort für alle bleibt. Wenn wir der Meinung sind, ein Kanal verletze unsere Programme und Grundsätze fundamental, dann schließen wir ihn, um andere Benutzer dieser Plattform zu beschützen. Wenn Sie allerdings glauben, dass wir diesbezüglich irren, können Sie gegen diese Entscheidung berufen.“
Als einzige Erklärung, worin genau Resslers „schwerwiegende Verstöße“ bestehen mögen, wurde folgender Satz mitgeliefert: „Datenmüll (spam), Betrug (scams) oder kommerziell irreführende Inhalte“ seien auf YouTube nicht erlaubt. Nun ist es schwer, sich Oliver Resslers penibel recherchierte, vielfach preisgekrönte und seit zwei Jahrzehnten weltweit ausgestellte Arbeiten als „Müll“ oder „Betrügereien“ vorzustellen. Der österreichische Dokumentarist und Filmessayist Ressler, 51, gebürtiger Knittelfelder, ist ein engagierter antikapitalistischer Künstler, dessen Filme sich in großen und wichtigen Museumssammlungen in Rom, Athen und Eindhoven sowie beispielsweise am Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe finden. Er hat an der Documenta teilgenommen und ist seit 2016 Träger des Prix Thin für Kunst und Ethik.
Seit acht Tagen ist also das Archiv jener 31 eigenen Filmarbeiten, das Oliver Ressler auf der populären Videoplattform (und zweitgrößten Suchmaschine der Welt) 2020 zur kostenlosen Betrachtung angelegt hatte, nicht mehr zugänglich. Ohne Vorwarnung und Diskussion hat YouTube Resslers Kanal „dauerhaft entfernt“, wie es in der Zuschrift lakonisch heißt. „In Zukunft werden Sie auf andere YouTube-Kanäle weder zugreifen können, noch werden Sie diese besitzen oder erstellen können.“ Am Ende der alarmierenden Post grüßt „ergeben“, wie zum Hohn, „das YouTube-Team“.
Das anonyme Wir-Gefühl eines global agierenden Konzerns hat einen schalen Beigeschmack. „Ich bin mir keiner Verletzungen bewusst“ betont Oliver Ressler auf profil-Anfrage und verweist auf „andere Fälle von links stehenden Kanälen, die YouTube gesperrt hat“. Resslers Filme wenden sich gegen zerstörerische Konzernpraktiken, verfehlte Klimapolitiken und Formen des organisierten Widerstands gegen eine durchkapitalisierte Gesellschaft. Er sei daher nicht so sehr erstaunt, dass YouTube ihn nun blockiere, als vielmehr: wütend, sagt Ressler.
Die nun gesperrten Filme seien zwischen 2000 und 2018 entstanden und hunderte Male in Ausstellungen, etwa im Madrider Museo Reina Sofía oder im Centre Pompidou in Paris, auf Filmfestivals und am Rande sozialpolitischer Bewegungen gezeigt worden. Sein Fall veranschauliche zudem, wie ernst Google das demokratische Recht auf Anfechtung nehme: Seit bislang sieben Tagen schweige eines der reichsten Unternehmen dieses Planeten zu Resslers Aufforderung, die Kontolöschung zu revidieren.
Ressler spricht nun von „offener politischer Zensur“. YouTube benutze sein De-facto-Monopol, um nach Lust und Laune zu agieren. Dies entwerfe ein düsteres Bild unserer Medienwirklichkeit. „Um wieder Kontrolle über unser Leben zu gewinnen“, wäre es nötig, sagt Ressler, Google ebenso wie Facebook, Apple, Microsoft, Amazon etc. „zu kollektivieren“.
Klar, Ressler vertritt deutliche Positionen. Aber gegen politische Propaganda, solange sie im demokratischen Spektrum verortet ist, hat YouTube ja sonst auch nichts einzuwenden. Das Bundeskanzleramt Österreich etwa bespielt seinen Kanal weiterhin problemlos mit Pressekonferenzen und Kanzler-Werbespots. Es gibt glücklicherweise im Netz nicht nur YouTube, sondern noch andere, wenn auch weniger populäre Orte, seine Filme verfügbar zu machen; auf Resslers Homepage und seinem Vimeo-Kanal finden sich die inkriminierten Werke weiterhin. In einer Konzernwelt aber, in der das Zusammenspiel von Kunst und Ethik als „Betrügerei“ diffamiert wird, sind die Dinge merklich und offenbar endgültig aus dem Lot.
Update vom 12. August:
YouTube revidiert seine Entscheidung: Es gebe, wie ein „weiterer Blick bestätigt“ habe, doch keine Verstöße gegen die Benutzerrichtlinien, ließ man den Künstler nun wissen – wohl auch infolge des öffentlichen, durchaus internationalen Drucks, den die Empörung über die Zensurmaßnahmen ausgeübt hatte. Erneut jedoch gab es keine konkreten Hinweise darauf, welche Überlegungen zur zeitweiligen Löschung des Ressler-Videokanals geführt hatten. „Im Versuch, alles richtig hinzukriegen, machen wir manchmal Fehler“, hieß es, erstaunlich kleinlaut, seitens des Konzerns nur. Oliver Ressler selbst mutmaßt im Gespräch mit der APA, YouTube habe in der Wiederherstellung seines Kanals vermutlich „das kleinere Übel“ gesehen.