Wie souverän der Wiener Filmemacher Mo Harawe in Bildern, Farben und Tönen erzählen kann, wurde bereits in den beiden Kurzfilmen deutlich, die er 2020 („Life on the Horn“) und 2022 veröffentlichte – und mit denen er größere internationale Wahrnehmung in Festivalkreisen generieren konnte. Insbesondere der Naturalismus seines leisen Gefängnismelodrams „Will My Parents Come to See Me?“ (2022), in dem sich die routinierten institutionellen Abläufe rund um einen inhaftierten jungen Somalier erst allmählich zur Tragödie verdichten, blieb im Gedächtnis.
Das in Cannes vor einem halben Jahr uraufgeführte Langfilmdebüt des in Mogadischu geborenen, seit 15 Jahren in Österreich lebenden Künstlers heißt nun „The Village Next to Paradise“ – und hat soeben hiesige Kinos erreicht. Es erzählt in langen Einstellungen, mit hohem Formbewusstsein, sparsamen Dialogen und wenig Musik die Geschichte einer somalischen Patchwork-Familie, die an der Küste im äußersten Osten Afrikas lebt. Vor wenigen Tagen erst wurde jenes Werk, das in aller Ruhe das zunehmend fesselnde Porträt dreier aufeinander angewiesener, sich selbst auf je eigene Weise im Weg stehender Menschen entwirft, im Rahmen der Viennale mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnet. Die Ehre ist angemessen: Österreichs Filmszene gewinnt mit Mo Harawes Produktionen alternative Perspektiven, Einblicke in Lebenswelten, die einem sonst verschlossen blieben.
Fast analog zu seiner filmischen Arbeit erscheint der Regisseur, der seit einigen Jahren auch an der Kunsthochschule in Kassel Visuelle Kommunikation studiert, im persönlichen Kontakt konzentriert, zurückhaltend, sympathisch in sich ruhend. Er drehe seine Filme nicht, um sein Ego zu befriedigen oder bloß seine Meinung zu einem Thema kundzutun, sagte Mo Harawe im vergangenen Frühling im profil-Interview; er wolle vielmehr „ohne Werturteile und Lösungsvorschläge verschiedene Positionen darstellen. Ich behandle meine Themen nicht mit erhobenem Zeigefinger; ich stelle etwas dar, zu dem andere sich ihre Meinung selbst bilden sollen.“
Eine fundamentale Offenheit trägt seine filmischen Kompositionen: Sie sind „elementar“ in jedem Sinne, hergestellt aus Erde, Wasser, Luft und Feuer, und in ihrem grundlegenden Humanismus für uns alle von Bedeutung.
Es ist leicht, die Provinz, von der Greta Lauer erzählt, schrecklich zu finden. Es ist zu leicht. Lauer hat im Vorjahr den Text „Gedeih und Verderb“ veröffentlicht, einen Bericht über das Leben im Hinterland, für den sie keine Schubladen mit den glattgebügelten Standardsätzen öffnet, dem sie ebenso wenig das Etikett „Antiheimatliteratur“ anheftet. In „Gedeih und Verderb“, Lauers erstem Buch, aufgelegt im Wiener Kleinverlag Luftschacht, passiert viel Zauberisches dunkler Art, in so knapper wie kryptischer Sprache. Es ist ein außergewöhnliches, bislang zu wenig wahrgenommenes Debüt.
Lauer wuchs in Lavamünd auf, im östlichsten Teil Kärntens, an der Staatsgrenze zu Slowenien. Sie studierte in Wien Germanistik und Philosophie, arbeitete am Berliner Ensemble und an der Schaubühne, lebte für längere Zeit in Paris und Kairo, arbeitete in Einrichtungen für psychisch kranke Rechtsbrecher sowie in Bars. „Lesen und Schreiben stürzten erst nach dem Studium über mich herein“, erinnert sie sich beim Treffen in einem Café beim Wiener Wallensteinplatz. Es waren und sind Autorinnen und Autoren wie Oswald Egger, Christine Lavant, Ágota Kristóf und Dagmara Kraus, die Lauer vom Lesen zum Schreiben brachten.
Jahrelang saß Lauer über dem Manuskript von „Gedeih und Verderb“, der Geschichte eines namenlosen Ichs, das die Provinz mit der Stadt tauscht – und ins Kindheitsdorf zurückkehrt. „Auf der Matratze, auf den Flecken der vergangenen Tage, hängt mir die Einsamkeit in Fetzen von der Decke“, assoziiert sich die Ich-Erzählerin durch den Alltag: „Meine Augäpfelein suchen den Weg in eine Weite, sie bleiben an einem Fetzen kleben. Ich muss aufstehen und die Augäpfelein zurück in meine Augenhöhlen drücken.“ Nicht weiter verwunderlich, dass in dem entlegenen Flecken „Magenhautflaggen“ im Wind knattern, „Vorhautstreifen“ eine Rolle spielen, „Holzbeilhände“ in Gesichter schlagen. Es ist ein suggestiv-spröder Ton, der diese Geschichte(n) trägt, der das Dasein am Rand als wunderliches Leidens- und Lebensterrain entfaltet.
Seit geraumer Zeit arbeitet Lauer an „Plane“, ihrem jüngsten Schreibprojekt, das viel mit Musik und Performance zu tun hat. „Es geht auch immer darum, die Grenzen der Sprache zu erweitern, sie vorwärts stürzen und stolpern zu lassen.“ Gespannte Erwartung geht Greta Lauers nächstem Buch voraus.
Lukas Sternath, 23
Konzertpianist
Der Professor ist selbst erst 37 Jahre alt, sein Zögling 23. Im harten Geschäft der Klassik-Exzellenz ist die Jugend ein besonderes Gut. Der Pianist Igor Levit jedenfalls schwärmt in höchsten Tönen von dem Wiener Lukas Sternath, den er an der Musikhochschule Hannover unterrichtet.
Sternath, der im Klassikdunstkreis Wiens zwischen Sängerknaben und Musikuni zielgerichtet zum Blühen gebracht wurde, weiß durchaus schon mit seinem Ruhm zu wuchern. Der Gewinner des renommierten Internationalen ARD-Musikwettbewerbs in München 2022 (sowie sieben weiterer Auszeichnungen) macht auf seiner Website Fotobocksprünge im Großen Saal des Luzerner KKL, an einem der olympischen Konzertorte der Klassikwelt.
Perfekt ist er noch nicht, allzu selbstgewiss, klangverliebt, ein wenig unreif gerät ihm mancher Auftritt. Doch der aufgeweckt-neugierige Bursche, den man auch sorgfältig lauschend bei einem Auftritt Daniil Trifonovs im Wiener Konzerthaus antreffen kann, wird seinen Weg machen. Denn er lernt aus Fehlern schnell, weiß sich zu korrigieren. Für Nachlässigkeit ist seine Begabung schlicht zu groß, seine technische Souveränität gepaart mit individuellem Wollen zur Interpretation.
Nun heißt es für Lukas Sternath, nachhaltig zu agieren, auch wenn in Österreich für ihn bereits jetzt alle Weichen gestellt erscheinen, um ihn als neuen nationalen Klavierstar zu etablieren – Friedrich Gulda ist seit 24 Jahren tot, Rudolf Buchbinder ist 77, Stefan Vladar, 59, nur noch Dirigent in Lübeck, Till Fellner, 52, Professor in Zürich. Sternath konzentriert sich einerseits auf die Wiener Klassik – Mozart, Beethoven, Schubert –, probiert sich mit dem exzentrischen Romantiker Robert Schumann aus, trainiert seine Fähigkeiten bei Liszt und Rachmaninow. Er bewegt sich spielend aber auch in der Neuen Musik mit Kompositionen von Ligeti, Sofia Gubaidulina oder der Geigerin Patricia Kopatchinskaja.
Die Cellistin Julia Hagen ist ihm regelmäßige Partnerin im europaweit gut durchgebuchten Kalender. Bedeutende Orchester wie die Bamberger Symphoniker haben ihn wiederholt eingeladen. Und auch bei den Salzburger Festspielen hat er sich 2024 schon im Rahmen einer der Mozart-Matineen vorgestellt. So verfestigt sich eine Karriere. Auf gutem Weg.
Elena Wolff, 31
Schauspielerin, Regisseurin, Autorin
Als eine Art Ideengenerator, dessen Motor unaufhörlich zu rotieren scheint, muss man sich Elena Wolff vorstellen. Tatsächlich arbeitet sie hochfrequent und in sehr verschiedenen Feldern, als Performerin, Regisseurin („Para:dies“, 2022) und Autorin, sie absolviert denkwürdige Auftritte in den Filmen anderer und gestaltet mit sozial und politisch unbedingt angriffigen Texten feministische Kabarett-Soloabende. Nebenbei studiert sie an der Wiener Filmakademie.
In Berlin geboren, in Kitzbühel und Wien aufgewachsen, absolvierte Wolff zunächst Mode- und Sprachstudien, eine Schauspielausbildung in Linz und fasste sogar eine frühe Karriere als Poetry-Slammerin ins Auge. Queerness und Diversität behandelt sie in ihren Arbeiten prioritär, subversives Potenzial besitzen diese grundsätzlich: Ihre jüngste Regiearbeit etwa, die Elena Wolff nach etlichen Festivalvorführungen unter dem Titel „Asche“ vor wenigen Tagen erst in Österreichs Kinos gebracht hat, malt mit Lust an polemischen Spitzen und kreativer Überhöhung eine Kunstszene an die Wand, in der eine toxische Melange aus Narzissmus, Drogen, Sex und Selbstbeschädigung wirkt. Eine der zentralen Rollen stellt Wolff selbst dar, auch dies mit spürbarer Freude an den ekstatischen Potenzialen dieser Figur.
Die geringen Budgets, mit der Elena Wolff in der Regel noch hantiert, sind für sie kein größeres Hindernis, eher eine Herausforderung: Geld ist keine Prämisse, um sinnvoll von den Abgründen der nachmodernen Existenz, von einer fehlkonstruierten Welt zu erzählen, in der wir alle uns zu verlieren drohen. So sehr Wolffs (Selbst-)Inszenierungen auf den ersten Blick Spaß zu machen versprechen, den Hedonismus feiern und auszustellen scheinen: Sie zerreißen die Gesellschaft, die sie dokumentieren, zugleich genüsslich in der Luft. Elena Wolffs finstere Weltsichten, mit denen all die zwischenmenschlichen Desaster in und um uns so unerschrocken markiert werden, sind schwer zu übersehen.
Von dem eben verstorbenen Quincy Jones, einem der Allergrößten seiner Zunft, war zu lernen. Nach ersten Remix-Arbeiten und der feinen EP-Kollektion „Condition“ (2019) war es Felix Nyajos Wunsch, das eigene Debütalbum „True Magic“ im Schaffens-Spirit des Titanen verankert zu wissen. In einem Podcast-Talk zum LP-Release im Sommer 2024 ließ salute, wie sich Nyajo als Musiker nennt, wissen: „Ich wollte ein Projekt mit echten Songs machen und es so angehen, wie Quincy ein Album für einen großen Popstar konzipieren würde.“
Auch wenn der Aufstieg in die Riege der großen Popstars für salute noch nicht unmittelbar in Sicht ist: Der Durchstarterstatus in der globalen Clubmusik-Szene gilt längst als gesichert. Davon künden zentrale Errungenschaften der letzten Jahre: ein Plattenvertrag beim Londoner Tastemaker-Plattenlabel Ninja Tune, rund um den Globus ekstatisch bejubelte DJ-Sets – auf Bühnen vom Hipster-Hoppelspot Boiler Room bis zum wichtigsten Brit-Festival in Glastonbury – und nicht zuletzt hochkarätige Vocal-Kollaborationen (etwa mit rising star Rina Sawayama), die salutes Produktionen um das anvisierte Prinzip der großen, gegenseitigen Pop-Bereicherung ergänzen.
Ohne Übertreibung darf also festgehalten werden, dass Nyajo seit den musikalischen Anfängen, die im Basteln von Beats am elterlichen Computer in Wien-Aspern bestanden, einen eindrücklichen Werdegang hingelegt hat. Als Karrierebeschleuniger sollte sich der Umzug ins Vereinigte Königreich vor rund zehn Jahren erweisen, der leider erst durch rassistische Übergriffe in der Heimat angestoßen wurde. Zunächst von Brighton, mittlerweile von Manchester aus – spätestens seit den Madchester Days ein Epizentrum der globalen Dance-Kultur – etablierte salute ein heute weit verzweigtes Netzwerk, vor allem aber einen signature sound, der auf „True Magic“ genuine Formreife findet. Infiziert mit Aromen diverser Brit-Beat-Musiken der letzten Dezennien – Drum & Bass hier, UK-Garage da – entfaltet sich darauf ein ausgeklügelt arrangiertes Kräftespiel aus kräftig rollenden Basslines, merklichem Filter-House-Flair, treibenden Tempi (das Cover nennt stolze Werte bis zu 174 BPM) und stimmiger Melodieführung. Dem so euphorischen wie energetischen Dance-Pop der Marke salute wohnt ein Zauber inne.
Könnte man salutes Musik, so unverschämt uptempo wie uplifting sie anmutet, als lustvoll gesetzten klanglichen Kontrapunkt zu Gemütlichkeit und Grantlertum, diesen beiden unzerstörbaren Fixgrößen des Wiener Lebensgefühls, lesen? Das würde vermutlich zu weit führen. Ungeachtet dessen dürfte man aber wohl nur wenig anderer Musik aus dem klassischen Clubkontext begegnen, die einen derart affirmativ und pop-begabt einzufangen und im Sinne des Albumtitels mitunter gar zu verzaubern versteht. Quincy Jones wäre angetan gewesen.