Zum Tod von Arik Brauer (1929-2021): "Ich hatte ein Masel"
Man muss sich Arik Brauer Maler des Phantastischen Realismus und Musiker, als ein glückliches Wiener Kind vorstellen: aufgewachsen in Wien-Ottakring, der Vater ein Schuhmacher, auch ein Künstler in gewissem Sinn, der Schuhe nach den verkrüppelten Füßen seiner Kunden modellierte und das große Talent seines Sohnes erkannte.
Als alles schon zu spät war, erreichte ein Brief des Vaters aus einem Lager in Riga die Familie in Wien: Ob er noch zeichne und male? Es war der letzte Brief. Vermutlich 1944 wurde der Vater ermordet, ein Jude aus Litauen, der in Wien Sozialist geworden war, der sich losgerissen hatte von der strengen, intellektuellen Tradition seiner Familie.
Arik Brauer war neun Jahre alt, als sein bester Freund ihm auf dem Schulweg mitteilte, er dürfe von jetzt an nicht mehr mit ihm reden. Das war im März 1938. Der Klassenlehrer trug schon das Parteiabzeichen.
Nach Definition der Nationalsozialisten war Brauer ein "Mischling", doch weil er den jüdischen Religionsunterricht besuchte, war er ein "Geltungsjude", der allen Verboten sowie dem Tragen des Judensterns unterlag. Seiner älteren Schwester, die nicht bei der IKG gemeldet war, blieb das erspart.
Es war üblich, dass HJ-Partien jüdische Kinder auf der Straße bespuckten und verhöhnten. Einmal wurde Brauer auch zu einer "Reibepartie" gezwungen. Als er den Stern trug, wurde er nicht mehr so gedemütigt, sagt Brauer. Aber er trug ihn häufig nicht. Seine Mutter hatte ihm Druckknöpfe angebracht, so dass er ihn schnell anstecken konnte, wenn Gefahr in Verzug war. Der Junge ging ohne Stern in den Prater, auch ins Kino. Wie viele andere "Mischlingsbuben" ging er das Risiko ein, sich den antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß" anzusehen, mit dem die NS-Propaganda das Thema "Rassenschande" erfolgreich anheizte. Nach Vorführungen gab es immer wieder Hetzjagden gegen Juden.
Brauer fand Arbeit in der Tischlerwerkstatt der Kultusgemeinde, die im Kinderheim in der Tempelgasse untergebracht war. Das bot einen gewissen Schutz vor der Deportation. Wenn Fliegeralarm einsetzte, war er selig. Im Februar 1945 kam Brauer selbst auf die Liste und ins Sammellager. In einem unbeobachteten Augenblick machte er sich auf und davon und versteckte sich bis Kriegsende in einem Schrebergarten.
"Ich hatte ein Masel", sagt er.
Der Text erschien erstmals in profil 46/2016 vom 14.11.2016.