Sinéad O’Connor (1966-2023): Eine Stimme, ein Leben
Es gibt zwei Ereignisse, die das Leben der Sängerin Sinéad O’Connor, ein Wechselspiel aus Pop und Politik, zwischen Protest, großer Bühne und persönlichen Tragödien auf den Punkt bringen. Das eine fand 1990 statt. Und es sind die vielleicht eindringlichsten Tränen der Popgeschichte. Im Musikvideo zu „Nothing Compares 2 U“, das der Musiksender MTV in Dauerrotation ausstrahlte, kommen der jungen, kahlgeschorenen Irin gegen Ende der fünfminütigen Ballade die Tränen. Dazu diese Stimme, gleichermaßen zerbrechlich und stark, die einmal fast geflüstert, im nächsten Moment in einem Ausbruch der Verzweiflung schreit, die alles, das ganze Leben und all die Gefühlsregungen der menschlichen Existenz, Leid, Freude und Trauer zu vereinen schien.
Die Ballade „Nothing Compares 2 U“, die Coverversion eines Songs des US-Superstars Prince, der das Lied bereits 1985 mit seinem Nebenprojekt The Family veröffentlicht hatte, wurde zu einem Welthit, der bis heute nachhallt (auf Spotify hält der Song noch immer bei knapp 300 Millionen monatlichen Streams). Unsterblich, im wahren Sinne des Wortes. 1991 gewann O’Connor dafür einen Grammy, boykottierte aber die Verleihung, weil sie die Show für zu kommerziell hielt. Für sie war es da schon zu spät. Sie war bereits zu einem Popstar wider Willen geworden.
Nur ein Jahr später – sie hatte gerade ihr drittes Album, „Am I Not Your Girl?“ veröffentlicht – dann eine weitere Zäsur: Bei einem Auftritt in der US-Satire-Show „Saturday Night Live“, sie war gerade dabei, ihre A-capella-Version von Bob Marleys „War“ zu beenden, zerriss sie ein Foto, das Papst Johannes Paul II. zeigte; ihr Zeichen gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Mit den Worten „Fight the real enemy“ kommentierte sie ihre Protestaktion: Bekämpfe den wahren Feind.
Sinéad O’Connor bei einem Konzert 2012: Nicht die Lust an der Provokation trieb ihren Protest voran; sie konnte einfach nicht anders.
Die Rechnung für den Affront bekam sie, damals gerade 25 Jahre alt, zwei Wochen später im prestigeträchtigen New Yorker Madison Square Garden präsentiert. Gemeinsam mit anderen Musikern wollte sie Bob Dylan zum 30-jährigen Jubiläum seines Debütalbums gratulieren, musste aber Beschimpfungen und Pfiffe des Publikums über sich ergehen lassen; auch Kollegin Madonna machte sich noch 1993 in einem Sketch über O’Connor lustig. Dabei wollte sie nur gegen Kindes- und Machtmissbrauch in der Kirche, gegen Diskriminierung, Misogynie und Rassismus aufbegehren. „Viele Leute sagen oder denken, dass das Zerreißen des Papstfotos meine Karriere zum Entgleisen gebracht hat“, schrieb sie vor zwei Jahren in ihrer Autobiografie „Erinnerungen“. Aber: „So sehe ich das nicht. Ich habe das Gefühl, dass eine Nummer-eins-Platte meine Karriere entgleisen ließ und dass das Zerreißen des Fotos mich wieder auf den richtigen Weg brachte.“
Sinéad O’Connors erratisches Leben, das ihr immer wieder zu entgleiten schien, geprägt war von Scheidungen und Karriereknicken, von psychischen Problemen, Suizidversuchen, Namensänderungen und spirituellen Erweckungserlebnissen (2018 konvertierte sie zum Islam), ist nur durch ihre Biografie zu erklären. Denn für Sinéad Marie Bernadette O'Connor, geboren 1966 in eine katholische Familie in einem Vorort von Dublin, war Popmusik immer mehr Mittel zum Zweck, um die Missstände, die ihr selbst und anderen widerfahren sind, anzuprangern. Von Leid und Martyrium wusste sie zu berichten. Ihre Mutter soll sie als Kind physisch und psychisch misshandelt haben, später, in der Klosterschule, gingen die Verletzungen weiter. Nicht die Lust an der Provokation trieb ihren Protest voran; sie konnte einfach nicht anders.
Vergangenes Jahr musste sie noch einen schweren privaten Schicksalsschlag verkraften. Ihr Sohn Shane O’Connor, eines ihrer vier Kinder, hatte sich mit nur 17 Jahren das Leben genommen. Nun ist Sinead O’Connor mit 56 Jahren in London gestorben.