Zuhören erfordert bei Weitem mehr Geduld als ein schneller Rat
profil macht schlau

Hilft man Freunden mit einem Ratschlag?

Die beste Freundin verzweifelt zum x-ten Mal an dem gleichen Typ Mann? Warum es trotzdem schlauer ist, sich mit guten Tipps zurückzuhalten.

Drucken

Schriftgröße

Dieses Dilemma kennen viele: Zum wiederholten Male klagen Freunde ihr Leid mit Beziehungen oder ihrem Job und scheitern an den ewig gleichen Problemen. Dabei hat man den Geplagten doch schon mehrere Lösungen präsentiert – nur um beim nächsten Treffen zu erfahren, dass wieder alles beim Alten geblieben ist.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen neigen die meisten Menschen dazu, ihre Urteilskraft zu überschätzen. Dagegen hilft eine einfache Frage an sich selbst: Habe ich wirklich die Kompetenz, die Konflikte in der Ehe meiner Freundin zu durchschauen? Oder gebe ich Ratschläge, um mich selbst besser zu fühlen? Denn das ist häufig die Motivation hinter den ungefragt verteilten Tipps. Ratgeben stärkt das eigene Selbstbewusstsein und verleiht einem ein gewisses Machtgefühl, wie ein internationales Forscherteam zeigen konnte (Die Studien dazu finden sie hier). Zudem können zu schnell vorgebrachte Lösungen ein Problem regelrecht zudecken – was zwar dem Ratgeber hilft, weil er sich vermeintlich nicht mehr damit beschäftigen muss, aber nicht dem Ratsuchenden. Dieser will womöglich seine heikle Situation durchsprechen, um sich selbst ein distanzierteres Bild zu machen. Ebenfalls ein Problem: Der Ratgeber schließt häufig von sich auf den anderen und vernachlässigt damit dessen Individualität.

Zuhören ist der Schlüssel

Kein Wunder, dass Ratschläge selten angenommen werden. Was also tun, wenn einem ein Freund wieder einmal das Herz ausschüttet? Die Hamburger Psychologin Gaby Manneck rät in der Zeitschrift „Psychologie Heute“ zu einer alten Tugend: dem Zuhören. Sie verweist auf Michael Endes Romanheldin Momo, die dieser so beschrieb: „Sie konnte so zuhören, dass ratlose, unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. (…) Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie ihm plötzlich Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten“.

Die Crux daran: Das Zuhören erfordert bei Weitem mehr Geduld als ein schneller Rat. Es kann Jahre dauern, bis ein Freund ein toxisches Beziehungsmuster endlich durchbrechen kann, bis eine Freundin schließlich doch den ungeliebten Job aufgibt. Vielleicht sollte man bereit sein, diese Zeit zu geben – schließlich ist man selbst vor langwierigen Problemen nicht gefeit.

 

__________

Sie lesen einen Artikel aus der Serie "profil macht schlau", in der Fragen des Alltagslebens beantwortet werden. Näheres zu der Serie und weitere Teile können Sie hier nachlesen.

__________

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.