Abschiebungen verhindern keine Anschläge
Gewalttaten wie die islamistischen Terrorangriffe in Villach und München sind unentschuldbar und rufen zurecht heftige Proteste hervor. Dass nun aus der Politik und rechten bis rechtsextremen Kreisen „konsequente Abschiebungen“ als vermeintliche Lösung im Kampf gegen den Extremismus gefordert werden, ist aber wenig hilfreich. Denn Abschiebungen allein schützen nicht vor Anschlägen, im Gegenteil: Radikale Islamisten könnten davon sogar profitieren.
Vorneweg zwei Dinge: Forderungen nach einem kompletten Stopp von Asylanträgen in Österreich sind schlicht nicht umsetzbar. Und schon jetzt verlieren Asylberechtigte durch besonders schwere Straftaten ihren Schutzstatus. Das Asyl-Aberkennungsverfahren gegen den syrischen Attentäter aus Villach läuft bereits. Der 23-Jährige soll nach Syrien abgeschoben werden – falls es dann im bürgerkriegsgebeutelten Land eine Regierung gibt, die ihn auch zurücknimmt. Aber zuerst muss er verurteilt werden und seine Strafe in Österreich absitzen.
FPÖ-Plan würde pro Jahr mehr Deutsche als Syrer und Afghanen ausweisen
FPÖ und ÖVP stört das: Die heimischen Gefängnisse seien mit ausländischen Straftätern überfüllt, hielten die Parteien in ihren geleakten Verhandlungspapieren fest, Haftstrafen sollten daher vermehrt im Heimatland abgesessen werden. Die FPÖ forderte in ihrem Wahlprogramm gar: „Nichtstaatsbürger, die in Österreich kriminell werden, sind auszuweisen.“
Nimmt man die FPÖ bei ihrem Wort, müsste Österreich mehr Deutsche ausweisen als Syrer und Afghanen zusammen.
2022 führte die Polizei syrische Asylwerber 2366 Mal als tatverdächtig, afghanische Asylwerber 1874 Mal. Deutsche Touristen wurden im selben Zeitraum 2.721 Mal einer Straftat verdächtigt. Insgesamt gerieten deutsche Staatsbürger 2022 häufiger in den Fokus der Polizei (12.919 Tatverdächtige) als syrische und afghanische Staatsbürger zusammen (11.902).
Richtig ist, dass Rumänen, Syrer, Serben, Türken und Afghanen deutlich öfter Tatverdächtige bei Verbrechen gegen Leib und Leben sind als Deutsche – und insgesamt begehen Ausländer in Österreich mehr dieser Gewaltverbrechen als Staatsbürger.
Seit 2015 ist der Anteil der Tatverdächtigen Nicht-Österreicher bei Morden und Mordversuchen zudem deutlich angestiegen. Würde die Forderung nach Abschiebungen statt Haftstrafen also doch vor Gewalt schützen?
Nein. Erstens will sogar die FPÖ nur straffällig gewordene Ausländer abschieben – wie das für Asylwerber schon jetzt nach Verbüßen ihrer Strafe vorgesehen ist. Der Attentäter von Villach hatte 2021 in Österreich in erster Instanz Asyl zuerkannt bekommen, hatte davor – anders als mancherorts fälschlicherweise behauptet – in keinem anderen EU-Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt und war weder in Österreich noch in anderen EU-Staaten straffällig geworden, wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) betont. Der Syrer hätte seine Bluttat folglich auch unter einem blauen Innenminister begehen können. Hätten Ermittler von seinem Plan gewusst, hätten sie versucht, ihn aufzuhalten – egal, ob er Asylwerber oder Staatsbürger ist. Mehr als die viel geforderten „konsequenten Abschiebungen“ braucht es folglich effektive Ermittlungen.
Zweitens ergibt es wenig Sinn, unterschiedliche Strafen für unterschiedliche Staatsbürgerschaften zu fordern. Das Strafrecht gilt für alle gleich. Wer einen Mord begeht, dem droht in Österreich lebenslange Haft. Sollte die Politik wirklich glauben, dass das nicht ausreichend abschreckt, müsste sie die Strafen für alle verschärfen, anstatt mehr Abschiebungen anzudrohen.
Vor allem aber lassen sich schwer radikalisierte Personen nicht abschrecken. Der Attentäter von Villach hatte offenbar geplant, von der Polizei erschossen zu werden. Dass er stattdessen festgenommen wurde und nun die Strafe des liberalen Rechtsstaates verbüßen muss, ist für ihn und seine menschenverachtende Ideologie eine Niederlage. Eine strengere Strafe hätte seine Tat nicht verhindert – ganz abgesehen davon, dass er nun ohnehin mit der Abschiebung rechnen muss.
Islamistische Extremisten sollen islamistischen Extremisten bestrafen
Und drittens würden radikalisierte Extremisten in ihrer Heimat womöglich sogar belohnt – oder zumindest nicht so hart bestraft wie hierzulande. Der derzeitige syrische Machthaber Abu Mohammed al-Julani kämpfte in Syrien zwar auch gegen die Terrormiliz IS, wurde von den USA aber wegen seiner Beziehungen zu Al-Kaida bis Dezember 2024 selbst als Terrorist eingeschätzt und ist als ehemaliger Rebellenführer für zahlreiche Tode verantwortlich.
Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder von der ÖVP-Schwesterpartei CSU forderte nach dem Attentat in München „jede Woche einen Flug“ nach Afghanistan. Dort regiert seit 2021 die islamistische Terrorgruppe der Taliban, die vor ihrer Machtergreifung laut den Vereinten Nationen jedes Jahr rund 1500 Zivilisten töteten und weitere etwa 3000 Zivilisten durch Explosionen verletzten oder umbrachten.
Diese Terroristen sollen nun unsere Terroristen bestrafen? Oder würden die islamistischen Herrscher die islamistischen Attentäter aus Österreich mit offenen Armen empfangen und sie zurück nach Europa schicken, um weitere „Ungläubige“ zu töten? Im schlimmsten Fall würden „konsequente Abschiebungen“ in die Herkunftsländer des radikalen Islamismus diese zerstörerische Ideologie nur stärken.
Islamistischer Terror zielt darauf ab, unsere liberale Gesellschaft zu spalten. Wir sollten den Attentätern diesen Wunsch nicht erfüllen, und das Übel ihrer menschenfeindlichen Ideologie bei der Wurzel bekämpfen, anstatt das Problem mit Scheinlösungen aus dem Blickfeld der Bevölkerung abzuschieben.