Satire

Alles anders! Diesmal wirklich!

Karl Nehammer hatte da eine Idee. Und die war so verdammt gut, dass er sie jetzt endlich unter die Leute bringen musste.

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Wenn man Karl Nehammer einmal in einer nachdenklichen Phase erwischte – in aller Regel ereignete sich diese an jedem letzten Donnerstag im Monat zwischen Wetterbericht und Hauptabendprogramm –, konnte man mit ein wenig Glück einen hoch interessanten Blick in sein Innerstes werfen. Und im Idealfall zum Kern seiner unumstößlichen Überzeugungen vordringen, das Epizentrum all seines Sehnens und Flehens entdecken. Selbstverständlich durfte das aber nicht jeder. Meistens umgab er sich in diesen Momenten der Verletzlichkeit mit anderen Philosophen, die ihm dabei helfen sollten, seine Gefühle richtig einzuordnen. Da half es dann schon eminent, dass Wolfgang Sobotka so ein durch und durch sensibler Feingeist war. Oder Gust Wöginger so ein kreativer und gewiefter Stratege. Oder Gerald Fleischmann so ein stets offener und ehrlicher Kommunikator.

Am heutigen Donnerstag war das alles jedenfalls alles noch einmal ein Stück spannender als sonst. Denn tags darauf stand ja eine eminent wichtige Rede auf dem Programm, die Mutter aller Reden praktisch, auf die die Welt schon lange gewartet hatte. Der Bundeskanzler würde sich vor sein tadelnswerterweise nicht immer rückhaltlos dankbares Volk stellen und ihm erklären, was Sache war. Wie er die Dinge sah, wie alles laufen sollte, welche Politik er sich für die Zukunft vorstellte. Das hatte er an sich zwar durchaus schon öfter einmal getan – allerdings hatte es bisher leider niemanden interessiert.

Heuer war das aber anders, denn heuer war ja schließlich das Jahr, in dem er sich mit diesem Kryptokommunisten aus Traiskirchen um einen strahlenden Wahlsieg balgen musste. Sollte heißen: um Platz zwei. Denn der Typ, der wohl wirklich gewinnen würde, spielte ja eigentlich nur außer Konkurrenz mit. Aber schon Zweiter zu werden, war fraglos schwierig genug. Nehammer wollte sich gar nicht erst ausmalen, wie schwierig es erst gewesen wäre, wenn er nicht Andi Babler, sondern einen richtigen Gegner gehabt hätte. Dann hätte möglicherweise nicht einmal jene Idee, die ihn gerade durchflutete und dafür sorgte, dass ihm mit einem Mal alles wie Schuppen von den Augen fiel, etwas genützt. Aber so – war alles gelöst! „Freunde!“, stieß der Bundeskanzler mit einer derartigen Begeisterung hervor, dass sich seine vorderen Zahnreihen zum ersten Mal seit Weihnachten 2009 einen Spalt öffneten – damals hatte er sich enorm gefreut, dass er den an sich schon längst vergriffenen Lyrikband von Willi Molterer geschenkt bekommen hatte. „Ich hab’s! Ich weiß jetzt, wie wir die Wahl gewinnen.“

Ei, da staunten die Freunde aber nicht schlecht. Sobotka ließ den Taktstock, den er immer als Zahnstocher benutzte, verwundert sinken, Wöginger beendete auf der Stelle seine an sich chronische WhatsApp-Unterhaltung mit Sigi Maurer, und Fleischmann blieb einfach nur der Mund offenstehen. Wenn sie viel von ihrem Karli geglaubt hätten – aber das? Jetzt auf einmal? So völlig aus heiterem Himmel? Sobotka kniff skeptisch die Augen zusammen und stach dann mit seinem Dirigentenstock ein Loch in die gedankenschwangere Luft. „Und wie bitte?“, fragte er dann nicht gänzlich unschneidend. „Ich mein, wie wenn das so einfach wär, oder? Wir sind immerhin die ÖVP.“ Nehammer grinste breit: „Wir machen das so: Wir stellen uns hin und sagen: Ja, es läuft schrecklich viel falsch in unserem Land. Aber zum Glück tritt ja jetzt die ÖVP auf den Plan, die das endlich ändern wird. Weil wir nehmen jetzt einfach der FPÖ ein paar Themen weg, machen Politik für die Leute, die jeden Tag in der Früh aufstehen und zur Arbeit gehen und so anderes Blabla, positionieren uns als Rechtsausleger, die vor allem den Migranten endlich zeigen, wo der Bartel den Most holt. Aber: Wir betonen dabei immer, dass wir im Gegensatz zu den Blauen mit Messer und Gabel essen können. Also quasi: Rechtspopulisten mit menschlichem Antlitz. Na, was sagt ihr? Wahnsinnsidee, oder?“

Fleischmann kratzte sich am Hinterkopf. Irgendwie kam ihm das bekannt vor. Aber woher bloß? Dem Wöginger Gust fiel es ein: „Haben wir das nicht schon vor der letzten Wahl gemacht? Und vor der vorletzten auch?“ – „Na ja, eh“, sagte der Kanzler. „Und haben wir damit gewonnen – oder etwa nicht?“ Nun ja. Das war zwar nicht ganz falsch. Aber das „wir“ stimmte möglicherweise nicht so ganz. Und dann war da noch etwas … „Wir versprechen also das, was wir 2017 und 2019 auch schon versprochen haben – nur diesmal ohne den Basti“, rekapitulierte Sobotka. „Aber was machen wir, wenn uns wer fragt, was wir eigentlich seitdem so gemacht haben? Oder überhaupt in den letzten 37 Jahren? Kurz gesagt: Warum ist eigentlich alles so beschissen – obwohl wir doch seit Jahrzehnten in der Regierung sind?“

Das war fürwahr ein Problem. Aber Fleischmann wäre nicht Fleischmann gewesen, wenn er dafür nicht sofort eine Lösung gehabt hätte. „Na, wegen den Grünen!“

Gebongt. Die Mutter aller Reden konnte kommen.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz