Leitartikel

Von Visionen und Wunschkonzerten

Der Kanzler präsentierte eine Vision für das Land. profil hat auch eine: Willkommen in einem neuen Lebensabschnitt dieses Magazins.

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Reden an die Nation finden normalerweise nicht an einem Freitag und nicht in einem gläsernen Hochhaus in Wien-Favoriten statt. In diesem Rahmen trat Kanzler Karl Nehammer diese Woche auf, um sich ausführlich und grundsätzlich zu erklären. Dem Volk, aber vor allem seiner Partei. Intern steht der ÖVP-Chef schon länger in der Kritik. Er habe keine klare Linie. Keine klare Strategie. Man wisse kaum, wofür er steht ­– sein Vorgänger Sebastian Kurz sei deutlicher gewesen. Letzterer ist eben auch der Grund, warum die ÖVP in den Umfragen ins Bodenlose purzelte. Nehammer, der brave Soldat, zog in den politischen Kampf, bisher konnte er kaum Siege verzeichnen. Im Gegenteil: Spätestens seit der niederschmetternden Niederösterreich-Wahl ist die Truppenmoral am Boden. Der hohe Verlust der sonst so starken Landespartei wird zu einem Gutteil Nehammers Bundespolitik zugerechnet. Eine Vision für 2030 musste also her.

Was dann kam, war weniger visionär als Zurück zu den Wurzeln der Volkspartei: mehr Mitte, weniger Ränder; mehr miteinander, weniger Streit. Kein Gegeneinanderausspielen, dann aber doch: Arbeitende gegen Arbeitslose. Mehr Sicherheit durch mehr Härte. Genügend Geld für Pensionisten, Pflege und genug Ärzt:innen als Draufgabe. Die Jungen sollen nicht leer ausgehen: Sie sollen 2030 endlich ein gutes Bildungssystem haben. Museen soll es in Stadt wie am Land geben. Und dann kamen noch die Bauern: Die brauchen dringend mehr Freiheit und weniger EU. Conclusio: Österreich 2030. Ein Land voller Chancen, in Wohlstand und Frieden. Weil wir sind ein schönes Land. Insgesamt fühlte es sich an wie ein Zwischenwahlkampf, wie ein Trainer, der die Mannschaft einschwört: Parteifremde waren kaum da. Die Rede hatte viel von „Wünsch dir was“, man fragt sich: Warum ist es nicht alles schon längst passiert? Immerhin ist die ÖVP seit Jahrzehnten in der Regierung. Und: Wie will man das eigentlich erreichen?

Ich nütze die Gelegenheit in dieser Woche des Frauentages und der Grundsatzreden das Wort für meine eigene Sache zu nützen. Zuerst möchte ich mich bei Ihnen vorstellen. Mein Name ist Anna Thalhammer, ich bin 37 Jahre alt und die erste Frau an der Spitze des profil. Das macht mich stolz. Ich begegne der Aufgabe, Sie, meine Leser:innen mit ausgezeichnetem Journalismus zu versorgen, mit viel Demut. Ohne Sie wären wir nichts.

Vielleicht möchten Sie ein bisschen etwas über mich erfahren – wir müssen uns ja erst kennenlernen. Ich bin in Oberösterreich geboren. Das Studium der Germanistik und Judaistik habe ich mir zu einem Gutteil selbst finanziert. Mein Vater, in einem Armenhaus groß geworden, war der Meinung, man müsse sich sein Geld selbst verdienen. Das waren damals neun Euro pro Stunde, die ich im Kurier-Medienhaus für Korrekturarbeiten bekam. Dieser Studentenjob war meine erste Station im Journalismus. Danach habe ich Erfahrungen beim Integrationsmagazin „biber“, der Boulevardzeitung „heute“ und zuletzt bei der „Presse“ gesammelt. Jetzt bin ich im Kurier-Medienhaus als Profil-Chefredakteurin wieder für Qualitätssicherung zuständig.  Mein Stundenlohn ist zugegeben besser geworden.

Vieles hat sich seit damals verändert, vieles ist gleich geblieben: Dass ich Geheimnisse nicht ausstehen kann und fast zwänglerisch nachbohre, bis alles am Tisch liegt, zum Beispiel. Dass ich es kaum akzeptieren kann, Dinge nicht zu verstehen und mich nächtelang in Themen hineinstürze. Dass ich eigentlich nur ein Hobby habe: mit Menschen zu reden. Und dass ich es als unglaublich schönes Privileg empfinde, in die Welten anderer schauen zu dürfen. Dass ich heute damit Geld verdienen darf, ist fantastisch. Ich brenne für den Qualitätsjournalismus in seiner Reinstform, der zeitlos ist: Einen Journalismus, der alle Seiten hört, sich aber keine aussucht. Der erklärt und informiert, aber nicht belehrt oder verurteilt.

Ich will mit meiner Redaktion Ihr Interesse wecken, Ihren Geist rütteln und Ihnen anregende Gesprächsthemen bieten. Ich will mit Ihnen gesellschaftspolitische Debatten zu den Themen, die Sie bewegen, führen. Sparen Sie nicht mit Kritik. Ich bin überzeugt, dass es für eine freie, liberale Demokratie unabdingbar ist, sich die Mühe der Tiefgründigkeit und der Abwägung aller Seiten anzutun. Meine Vision in diesem Sinne: Ich will mit dem, was wir hier tun, einen Beitrag leisten, der einmal die Vergangenheit geprägt haben wird und die Zukunft gestalten soll. Wie wir das schaffen wollen? Wir werden Woche für Woche gute Storys suchen und finden. Wir werden sie zeitgemäß auf vielen Kanälen aufbereiten, um sie Ihnen in der besten Form zu präsentieren.

Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.

Ihre Anna Thalhammer

 

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.