Arbeitskräftemangel: Sag mir wo die Frauen sind
Er hat einen Wut-Sommer hinter sich: Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer. Gemeinsam mit seiner Frau passte er eine Woche auf die Kinder des Schwagers auf, weil die Eltern die Betreuungslücke anders nicht schließen konnten. Und wetterte lautstark und in deutlichen Worten gegen "die Schande", dass in Österreich Zehntausende Kindergartenplätze fehlen, zu viele Kindergärten nur bis mittags offen haben und über 51 Tage im Jahr geschlossen sind, was jeden Urlaubsanspruch meilenweit übersteigt. Kurz: dass wechselnde Regierungen zwar seit Jahrzehnten treuherzig "Wahlfreiheit" versprechen -aber das in den Worten vieler Mütter und Väter, die händeringend nach Kindergartenplätzen oder nach Betreuung nach der in Österreich üblichen Halbtagsschule suchen, fast wie Hohn klingt.
Dennoch verzettelte sich die Politik ewig im Ideologie-Hickhack: Bund gegen Bundesländer, ÖVP gegen SPÖ, Herdprämie gegen Vollzeithort. Gestritten wurde emsig, der Ausbau der Kinderbetreuung hingegen ging nur schleppend voran. Österreich pumpte zwar Milliarden in Familienleistungen, aber wenig in Kindergärten. Das Resultat: Im EU-Vergleich hinkt Österreich beschämend hinterher und verfehlt die 2002 beschlossenen EU-Barcelona-Ziele (Kindergartenplätze für ein Drittel der unter Dreijährigen) bis heute. Nun verspricht die Regierung von Bundeskanzler Karl Nehammer Abhilfe und Milliardenpakete für den Kindergartenausbau. Ob sich die ÖVP-Grüne-Koalition gegen die ÖVP-FPÖ-Landesregierungen in Salzburg, Ober-und Niederösterreich durchsetzt, die lieber Prämien fürs Zuhausebleiben anbieten? Ein offenes Match, das bisher meist die Länder gewonnen haben.
Allerdings: Diesmal sind die Voraussetzungen anders, der Arbeitskräftemangel eröffnet ein Fenster, den Kindergartenausbau diesmal nicht nur zu versprechen, sondern auch wirklich umzusetzen. Denn die Kindergartenlücke und Halbtagsschule schlägt sich auch in einer überproportional hohen Teilzeitquote nieder: Österreich ist (nach den Niederlanden) Teilzeit-Vizeeuropameister, über 50 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit, bei Frauen mit Kindern unter sechs Jahren sind es sogar 71 Prozent. Meist freut sich ein Staat über Stockerlplätze, in diesem Fall aber nur bedingt. Wenn über die Hälfte der Erwerbstätigen Teilzeit arbeiten, dann darf sich niemand darüber wundern, dass Unternehmen und die öffentliche Hand, von Schulen über Spitäler bis zu Hotels und Supermärkten, händeringend Arbeitskräfte suchen.
Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice und Zahlenfuchs, kann penibel vorrechnen, dass 900.000 Frauen im erwerbsfähigen Alter keiner bezahlten Arbeit nachgehen, manche davon sicher auf eigenen Wunsch, und dass 71.000 berufstätige Mütter eigentlich gerne mehr Stunden arbeiten würden, das aber wegen der vorsintflutlichen Kinderbetreuungsangebote nicht können. Dazu kommt: Das Steuer-und Sozialsystem fördert Teilzeit massiv. All das hat Konsequenzen, unter anderem eklatante Einkommenseinbußen und beschämende Mini-Pensionen, die Frauen nach Teilzeit-Berufskarrieren drohen. Die wenigen Männer -exakt zwölf Prozent nach der letzten Zählung - die Teilzeit arbeiten, sind ausdrücklich mitgemeint, aber nicht hauptbetroffen. Denn in der Realität reduzieren meist Mütter die Arbeitszeit, beileibe nicht alle davon freiwillig.
Die wenigen Vorstöße, die hohe Teilzeitquote zu reduzieren , versandeten rasch: Arbeitsminister Martin Kocher wagte es heuer im Winter, das Tabuthema anzusprechen -wurde aber prompt zurückgepfiffen. Das mag ein paar konservative Lobbys zufriedenstellen, wird Österreich aber nicht weiterbringen. Im Gegenteil: Eine ehrliche und ergebnisoffene Debatte um den Vize-Europameistertitel bei Teilzeit ist genauso überfällig wie der Ausbau der Kinderbetreuung. Denn nur wenn es genügend Plätze gibt, herrscht echte Wahlfreiheit, die Eltern ermöglicht, auch ihr Wunschmodell zu leben - und sich nicht mit Aushilfs-Sittern wie dem Wirtschaftskammer-Präsidenten behelfen zu müssen.
AMS-Chef Kopf hält übrigens eine 30-30-Stunden Woche - je 30 Stunden für Vater und Mutter -für Jungeltern für ideal. Ja, das kann funktionieren, die Niederlande exerzieren es vor. Unter anderem mit - Überraschung! - ausreichend Kinderbetreuungsplätzen.