Kolumne

Luxusware Kinder

Die Presse des ganzen Landes fällt über eine Familie her, weil sie monatlich rund 500 Euro pro Kopf an Sozialleistungen bekommt. Um die Kinder geht es in der aufgeregten Debatte erst mal nicht. Sondern um politisches Kleingeld.

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Jedes fünfte Kind in Österreich lebt an oder unter der Armutsgrenze. Kein Urlaub, keine tollen Weihnachtsgeschenke, und auf die Klassenfahrt geht’s auch nur mit, wenn eine engagierte Lehrkraft sich rechtzeitig kümmert. Bei Kindern mit österreichischer Staatsbürger:innenschaft betrifft es jedes siebente Kind; bei jenen ohne sogar jedes zweite.

Arm sein heißt: nicht dabei sein können. Nicht mitmachen können. Für die einen geht’s nach der Schule mit der Mama zur Tennisstunde. Die anderen hängen im Einkaufszentrum ab. Die „Schlüsselkinder“, auf die niemand aufpassen kann, drücken sich die Nasen an Schaufenstern platt, hinter denen für sie Unerreichbares hängt.

Die Stadt Wien ist mit ihren Kindern etwas großzügiger als alle anderen Bundesländer. Und dagegen rebelliert jetzt mitten im Wahlkampf die Presse, angefüttert von Inseraten, gut ausgestattet mit den immer gleichen Stellungnahmen von den immer gleichen Teilen der politischen Landschaft. Fakten? Evidenz? Wen interessiert’s?

Kinder kosten Geld. Auch indirekt. Da wäre das Einkommen, das fehlt, weil man ein paar Jahre nur Teilzeit arbeiten kann. Die verpasste Beförderung, weil man in Teilzeit angeblich nicht führen kann. Später die geringere Pension, weil man ja so lange in Teilzeit war. Diesen Preis für die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, zahlen die Eltern – in den allermeisten Fällen übrigens die Mütter – sowieso allein. Dazu kommen die direkten Kosten eines Kindes. Eine alleinerziehende Mama braucht fast 1000 Euro mehr im Monat, sobald sie ein Kind hat. Im Vergleich zum kinderlosen Single bräuchte sie im Schnitt 43 Prozent mehr Einkommen, um dasselbe Wohlstandslevel zu halten. Mit zwei Kindern sind es schon sagenhafte 68 Prozent mehr. Und in dieser Rechnung fehlen noch die Kosten für die Schule. Die Arbeiterkammer hat erhoben, dass ein Schulkind im Schnitt 2200 Euro zusätzlich braucht. Nachhilfe, Ausflüge, Hefte, Bücher, Laptop – das alles geht ins Geld. Dazu kommen noch einmal die saftigen Kosten für die Nachmittagsbetreuung: Eltern zahlen durchschnittlich 1800 Euro pro Jahr und pro Kind.

Arm sein heißt: nicht dabei sein können. Nicht mitmachen können. 

Barbara Blaha

Die staatlichen Transferzahlungen gleichen die direkten Kosten nur für Paare mit niedrigsten Einkommen aus – auch dank Mindestsicherung. Aber schon in der unteren Mittelschicht geht es sich nicht mehr aus. Seit 2019 stieg die Armutsgefährdung um elf Prozent, wenn mehrere Kinder im Haushalt leben. Besonders krass ist es für alle, die allein erziehen, das sind immerhin zwölf Prozent aller Familien. Wer allein Kinder großzieht, bleibt auf zwei Dritteln der Kinderkosten sitzen.

Die sozialen Medien haben die „logische“ Antwort: „Wer sich keine Kinder leisten kann, der soll eben keine bekommen!“ Übersetzt heißt das: Wer weniger Geld hat, hat es schlicht nicht verdient, sich seinen Kinderwunsch zu erfüllen. Die Bedürfnisse und Wünsche ärmerer Menschen sind weniger wert. Die Logik zu Ende gedacht: Arme Menschen selbst sind weniger wert.

Ich kaue schwer an diesem Satz, denn auch in meiner Familie gab es wenig Geld – aber sieben Kinder. „Leisten“ konnte sich unsere Mutter die Großfamilie ganz sicher nicht. Welcher meiner Brüder, welche meiner Schwestern hat es denn nicht verdient, geboren worden zu sein?

Auf „pathetischen Schmus“ solle man doch verzichten in der Debatte, so lese ich. Es stehe die Sorge um die Kinder im Vordergrund! Bitte sachlich bleiben: Hohe Sozialleistungen hielten schließlich die Eltern vom Arbeitsmarkt fern – zum Schaden der Kinder! Was wirklich passiert, wenn man die Beihilfen mit jedem weiteren Kind runterschraubt und sie irgendwann überhaupt auf Null stellt? Das hat Großbritannien vor Jahren schon durchgespielt. Einen Deckel für alle Sozialleistungen, wenn niemand in der Familie arbeiten geht; dazu einen Deckel für Steuergutschriften: Das dritte Kind geht leer aus. Die Auswirkungen der Kürzungspolitik wurden wissenschaftlich gut untersucht. Der Effekt? Null. Mit einer Ausnahme: Die Armutsgefährdung der betroffenen Familien mit mehr als zwei Kindern ist sprunghaft angestiegen. Drei von vier betroffenen Familien sind übrigens alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern. Viele von ihnen konnten sich die Miete nicht mehr leisten und mussten in die Peripherie ziehen – wo es noch weniger Jobs und Kindergärten gibt.

Nota bene: Bei den staatlichen Corona-Hilfen, da war man weniger zimperlich als bei ein paar Großfamilien mit sechs oder mehr Kindern. Zwei Drittel der Unternehmen haben Förderungen bezogen, die sie nicht gebraucht haben. Alles rechtens. Das Rascheln im Blätterwald war vergleichsweise sanft. Was sind schon Milliarden Euro für die Konzerne im Vergleich zu ein paar Hundert Euro für ein Kind?

Barbara Blaha

Barbara Blaha

leitet das ökosoziale Momentum Institut.