Barbara Blaha: Mit Anlauf in die Altersarmut
Die Karikatur ist mir vor Jahren untergekommen, aber sie hat nichts an Schärfe eingebüßt. Frauenleben haben sich kaum verändert: Frauen arbeiten bis zur Familiengründung voll. Aber dann übernehmen sie die Familienarbeit. Acht von zehn Frauen sind bis zum zweiten Geburtstag des Kindes nicht erwerbstätig. Noch zehn Jahre später verdienen sie im Teilzeitjob nur halb so viel wie vor der Geburt. Knapp 70 Prozent der Mütter bleiben in Teilzeit, bis die Kinder 14 Jahre sind. Und sie übernehmen den überwiegenden Teil der unbezahlten Sorgearbeit. Ganz automatisch.
Das beweist ein Blick auf die Arbeitsmarktdaten: Der Anteil der Frauen am Arbeitsmarkt wächst, aber der gesamte Anstieg seit den 1990er-Jahren entfällt auf Teilzeitjobs. Teilzeit, ein trügerisches Wort. Für Frauen heißt Teilzeit, dass sie nach ihrer bezahlten Erwerbsarbeit in die zweite – unbezahlte – Schicht wechseln. Jeden Tag. Sie arbeiten mehr Stunden als Männer, sie bekommen nur weniger Stunden bezahlt.
Wenn die Kinder endlich nicht mehr umsorgt werden müssen, kommen die Angehörigen. Acht von zehn Pflegegeldbezieher:innen werden zu Hause gepflegt. Von Frauen, die ihnen nahestehen. Pflege ist in Österreich eine private Angelegenheit. Die Frauen müssen einspringen, wo wir als Gesellschaft auslassen.
Und so springen sie kopfüber in die Armut, wenn die Ehe nicht hält. Das Pensionssystem ist für Männer gebaut: Wer eine ausreichende Pension haben will, muss sein Leben lang Vollzeit und gut bezahlt gearbeitet haben. Davon können die meisten Frauen nur träumen: Frauentypische Berufe sind überdurchschnittlich anstrengend und unterdurchschnittlich bezahlt.
Und zwar einfach nur deshalb, weil es eben „Frauenberufe“ sind: Ihrer Arbeit wird schlicht weniger Wert zugemessen. Der Journalist Robert Pausch formulierte treffend, dass paradoxerweise in der Unverzichtbarkeit der grundlegenden Arbeiten der Schlüssel für die fehlende Anerkennung liegt: „Die Arbeit, die Frauen leisten, ist so grundlegend, dass man sie nicht wahrnimmt. Die Böden wischen im Krankenhaus, Äpfelchen schneiden für Kindergartenkinder, den Alten die Füße waschen – was soll daran besonders sein? Es erscheint als selbstverständlich, dass diese Dinge erledigt sind. Zumal viele der Tätigkeiten denen ähneln, die Frauen zu Hause auch unbezahlt und scheinbar nebenbei erledigen: putzen, kochen, waschen, spülen, kümmern, sorgen, pflegen.“
Ganz selbstverständlich und nebenbei arbeiten sich Frauen kaputt: Neun von zehn Beschäftigen in der Altenpflege sind Frauen. Zwei von drei glauben nicht, dass sie diesen Job bis zum regulären Pensionsantritt durchhalten werden. Auch putzen gehen weit mehr Frauen als Männer, aber nur eine von vier Frauen wechselt direkt aus der Reinigungsbranche in die Pension. Die anderen drei aus der Arbeitslosigkeit.
Und mit der Pension beginnt das große Rechnen mit dem kleinen Geld: Frauen bekommen knapp 40 Prozent weniger Pension als Männer. Zum Vergleich: Auf ein Jahr umgerechnet ist das, als würde man den Frauen in Österreich ab dem 4. August einfach keine Pension mehr auszahlen. Jede fünfte Frau über 60 lebt unterhalb der Armutsgrenze, Tendenz dank Teuerungskrise steigend.
Es ist schließlich kein Naturgesetz, dass Automechaniker besser bezahlt werden als Altenpflegerinnen.
Und das alles, obwohl die Rezepte, um Altersarmut zu bekämpfen, alle auf dem Tisch liegen. Ein Karenzmodell, das die Karenzzeiten zwischen Mama und Papa verpflichtend fair verteilt, würde helfen. Väterkarenz wirkt sich positiv auf den beruflichen Wiedereinstieg der Mütter aus. Je länger auch die Väter zu Hause bleiben, desto besser sind die Wiedereinstiegschancen der Mütter. Gegen die Pensionslücke hilft auch, die Zeiten für Kinderbetreuung und Pflegeteilzeit bei der Berechnung der Pensionen ordentlich aufzuwerten. Denn wo es keine ganztägigen Kindergärten gibt, können Frauen nicht Vollzeit arbeiten. Österreich verpasst seit über 20 Jahren das EU-Ziel zur Betreuung von Kleinkindern. Jeder vierte Kinderkrippen- und -gartenplatz außerhalb Wiens ist mit Vollzeit nicht vereinbar. Wien bietet die meisten Vollzeitplätze an, mit Öffnungszeiten von über zehn Stunden täglich, kostenfrei. Das ist noch immer nicht genug, aber deutlich mehr als andere Bundesländer. Natürlich hat Wien damit auch den geringsten Gender-Pay-Gap und die kleinste Pensionslücke zwischen Männern und Frauen: 26,4 Prozent. In Vorarlberg, dem Land mit der größten Ungleichheit, ist die Lücke doppelt so groß. Hier bekommen Frauen fast um die Hälfte weniger Pension als Männer.
Helfen würde auch, wenn wir Frauen nicht weiter mit der Pflege von älteren Angehörigen allein lassen würden. Zum Beispiel mit einer massiven Personaloffensive und dem Ausbau der Pflegeinfrastruktur.
Und höchste Zeit wäre es, nicht erst seit Corona, wenn wir die Berufe und Branchen, die den Laden wirklich am Laufen halten, von den Supermarktkassierinnen bis zu den Kindergärtnerinnen, endlich besser entlohnen würden: Ein kollektivvertraglicher Mindestlohn von zumindest 1800 Euro netto würde Frauen schon ein Stück vor dem Köpfler in die Altersarmut schützen. Es ist schließlich kein Naturgesetz, dass Automechaniker besser bezahlt werden als Altenpflegerinnen.