Klassenfrage Klimakrise
„Tut endlich was!“ So könnte man eine aktuelle Studie im Auftrag des Momentum Instituts zusammenfassen. Sie gibt erstaunliche und erschreckende Einblicke in die Sorgen der Österreicher:innen: Die Hälfte findet, dass die Klimapolitik die Interessen von älteren Menschen, von Kindern und von allen mit niedrigem Einkommen zu wenig berücksichtigt. Sieben von zehn finden hingegen, dass auf die Reichen zu viel oder angemessen Rücksicht genommen werde. Über 1400 Menschen wurden befragt, und das Ergebnis ist ein vernichtendes Urteil für die Politik: Fast alle wollen mehr Klimaschutz – aber aus Rücksicht auf die Reichen passiert zu wenig.
Wer viel CO2 in die Luft schießt, soll dafür auch eine Entschädigung zahlen. Und manche Freizeitaktivitäten mit besonders vielen Abgasen sollten überhaupt verboten werden: Das sagt eine klare Mehrheit. 68 Prozent wollen keine Privatjets am Himmel; 52 Prozent keine Kurzstreckenflüge (unter 1000 Kilometern) – das sind immerhin fast alle Flüge von Wien nach Deutschland. Und 62 Prozent, also gut zwei Drittel, wollen höhere Steuern für alle, die viel CO2 in die Atmosphäre pumpen.
Der einzige Unterschied zwischen Arm und Reich ist, wovor man Angst hat: Die Reichen fürchten, dass Teile der Welt unbewohnbar werden; die Armen haben Angst um ihre Gesundheit und dass ihr Lebensstandard sinkt.
Der Netzwerkforscher Harald Katzmair hat den Klassenwiderspruch im Kampf gegen die Klimakrise mal so zusammengefasst: Die einen fürchten sich vor dem Ende der Welt, die anderen vor dem Ende des Monats. Die Daten zeigen aber: Alle haben Angst vor dem Klima – unabhängig vom Einkommen. Der einzige Unterschied zwischen Arm und Reich ist, wovor man Angst hat: Die Reichen fürchten, dass Teile der Welt unbewohnbar werden; die Armen haben Angst um ihre Gesundheit und dass ihr Lebensstandard sinkt.
Und sie haben recht damit. Das Potsdam-Institut für Klimafolgen-Forschung hat ausgerechnet: Bis 2050 müssen wir mit Gehaltseinbußen zwischen 19 und 29 Prozent rechnen. Mit jedem Grad, das die Erde heißer wird, schrumpft die Wirtschaft um fünf Prozent. Eine Forschungsgruppe der Universität Harvard hat ausgerechnet, dass der wirtschaftliche Schaden durch die Klimakrise sechsmal so hoch ist als bisher angenommen.
Und wer arm ist, leidet auch gesundheitlich stärker am Klima: 64 Prozent im untersten Drittel haben Schlafprobleme wegen der Hitze – aber nur 36 Prozent im obersten. Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, Migräne, Hitze am Arbeitsplatz – immer sind ärmere Menschen ungefähr doppelt so häufig betroffen wie die im ökonomisch stärksten Drittel. Und natürlich, man ahnt es schon, ist die Belastung durch die Hitze nicht nur eine Klassen-, sondern auch eine Geschlechterfrage: In allen abgefragten Gesundheitsthemen sind Frauen stärker betroffen als Männer.
Warum wir das alles so genau wissen wollten? Weil die Klimakrise das existenzielle Problem der Menschheit ist. Das sagen uns alle internationalen Studien und Prognosen, das sagt die Wissenschaft auf der ganzen Welt. Und die Bürger:innen, die wir befragt haben, die sagen das auch. Aber in der öffentlichen Debatte haben jene die Oberhand, die Kopf-in-den-Sand propagieren. Dabei ist ein „Weiter so!“ auch ein wirtschaftlicher Wahnwitz: Die Kosten, um die Erhitzung auf zwei Grad zu begrenzen, wären nur ein Sechstel der Kosten, die auf uns zukommen, wenn wir die Klimakatastrophe weiter durchrauschen lassen.
Selbst die marktverliebte „Financial Times“ ruft nach Ordnungspolitik: Die Entscheidungen von Investoren hätten nur steigende Renditen im Sinn, das Wohlergehen zukünftiger Menschen sei für sie nahezu irrelevant. Deshalb müssen Regierungen diese Entscheidungen beeinflussen – wenn nicht sogar außer Kraft setzen. Allein: Sie tun es nicht. Diese Woche hätte Österreich seinen nationalen Klima- und Energieplan nach Brüssel schicken müssen. Als einziges Land in der EU haben wir das nicht geschafft. Es gibt in Österreich auch kein Klimaschutzgesetz – trotz zahlreicher Ankündigungen. Die Klimapolitik in Österreich scheitert also schon an den Mindestanforderungen.
Klimapolitik muss die vielen mitnehmen, wenn sie Mehrheiten schaffen will. Aber wenn die vielen den Eindruck haben, dass „die da oben“ sich auch in der CO2-Frage alles richten können; wenn „die“ weiter mit dem Privatjet durch die Gegend gurken können – dann schwindet die Unterstützung für Klimapolitik. Erst wenn Klimapolitik die Klassendimension viel stärker mitberücksichtigt, dann werden sich die großen Mehrheiten für starke Maßnahmen gegen CO2-Abgase auch an der Wahlurne zeigen. Engagierte Klimaprogramme müssen dafür aber erst mal denen auf die Zehen steigen, die den größten CO2-Fußabdruck haben – den Superreichen.