KOLUMNE

Barbara Blaha: Wir verdienen mehr als wir verdienen

In großen Sälen treffen sich große Runden (hauptsächlich Männer) und verhandeln. Auf die “Sitzungsunterbrechung” folgen jetzt die ersten Warnstreiks. Vor dem Fernseher fragt man sich: Braucht's das alles? Sind die paar Prozent Gehalt rauf oder runter den Zinnober überhaupt wert?

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Die kurze Antwort: ja. Um mit den Preisen Schritt halten zu können, müssen die Löhne regelmäßig steigen. Und zwar mindestens um die Teuerungsrate. Sonst haben wir zwar am Konto ein bisschen mehr Lohn, können uns im Supermarkt trotzdem weniger leisten als noch vor einem Jahr. Die Unternehmen haben in den letzten Jahren die Preise so stark nach oben gedreht wie seit den 1970er-Jahren nicht mehr. Um fast 23 Prozent seit 2019. Die verhandelten Löhne sind im gleichen Zeitraum nur 16 Prozent gestiegen. Die Preise haben die Löhne also abgehängt. Am härtesten trifft es wie immer die mit den kleinsten Löhnen, mit dem kollektivvertraglichen Minimum. Deren Kaufkraft ist so gering wie vor zwölf Jahren.

Das ist also die Vorgeschichte zu den aktuellen Verhandlungen. Und noch etwas muss man wissen: Die Metall-Branche legt traditionell die Latte für viele andere Branchen. Es geht also um viel Geld, nicht nur um das der Metaller.

Geld, das die Arbeitgeber:innen nicht zahlen wollen. Und deshalb holen sie die Klassiker aus der Kiste “101 Ausreden”: Die Wirtschaftslage ist nicht gut! Und überhaupt, der Wettbewerb! Man könne auch wo anders produzieren.

Was sagen uns die Daten? Österreichs Industrie ist nach jener Belgiens seit 2000 am EU-weit stärksten gewachsen. 80 Prozent ist die Industrie gewachsen … aber die Lohnstückkosten im gleichen Zeitraum nur um 10,5 Prozent. Da ist also noch Luft nach oben. 

Solange die Löhne nicht kräftig steigen, kriegen wir die Wirtschaft auch nicht wieder flott.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Steuerzahler Unternehmen sehr großzügig unter die Arme greift. Im kommenden Jahr schenkt der Staat den Unternehmen 6,4 Milliarden – Förderungen, Steuersenkungen. Zum Vergleich: Wenn wir alle Löhne in Österreich 2024 um die Teuerungsrate erhöhen, also um knapp 10 Prozent, dann würde das 16 bis 17 Milliarden kosten. Das heißt, über ein Drittel von so einer Anpassung wäre schon allein mit Steuergeld gedeckt. Wenn die Löhne im Schnitt nur um 7,6 Prozent steigen, wie das WIFO prognostiziert, dann wäre sogar schon die Hälfte der Anpassung mit unserem eigenen Steuergeld gedeckt.

Nein, die Arbeitgeber wollen das Steuergeld, mit dem wir ihnen geholfen haben, natürlich lieber behalten. Deshalb kommen sie mit dem Einserschmäh, der Einmalzahlung. Statt den Lohn dauerhaft zu erhöhen, wird einmalig eine Summe auf den Tisch geklatscht. Für die Arbeitgeber ist das ein verdammt guter Deal. Denn nur wenn unser Grundgehalt wächst, steigt auch das Fundament für alle kommenden Erhöhungen in unserem weiteren Berufsleben. Wer eine Einmalzahlung bekommt, verhandelt nächstes Mal wieder frisch von der alten, niedrigeren Ausgangsbasis. Die Einmalzahlung klingt schön, aber sie ist nur ein Ablenkungsmanöver der Arbeitgeber; eine Falle – um jede echte Gehaltserhöhung zu vermeiden.

Aber ist das nicht alles übertrieben? Geht es den Leuten in Österreich nicht eh gut? Schauen wir uns doch die Gehälter einer anderen Gruppe an, die wie die Metaller auch gerade auf die Straße geht. Die Elementar- und andere Pädagog:innen. 

Applaudiert hat man ihnen. So wichtig sind sie, hat man ihnen gesagt. Damit auch die Frauen arbeiten gehen können. Die wahren Systemerhalter:innen. Und was verdienen sie? Durchschnittlich 1.357 Euro netto im Monat. 92 Euro über der Armutsgefährdungsschwelle. 

Überhaupt ist der Aufholbedarf bei den Löhnen gerade in den sogenannten Frauenberufen riesig. Zum Beispiel im Handel: Dort würde ein kollektivvertraglicher Mindestlohn von gerade einmal 2.000 Euro brutto die Löhne der Betroffenen um durchschnittlich 22 Prozent anheben.

Und wer jetzt schon ansetzt zum “Eh, aber der Standort”-Lamento: Eine anständige Lohnerhöhung ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Der heimische Teil der Wirtschaft – von der Buschenschank bis zur Tischlerei – lebt von der Kaufkraft der Menschen, die regional ihr Geld ausgeben. Wir kaufen pro Kopf heute noch immer weniger als vor Corona. Verantwortlich dafür? Die hohen Preise. Die Teuerung hat den Menschen die Kaufkraft weggefressen. Wenn die Löhne steigen, dann wird die Hälfte dieser gesamten Erhöhung im ersten Jahr zur Hälfte wieder ausgegeben; also direkt zurück in die Wirtschaft gepumpt. 

Und die andere Hälfte kommt mit ein wenig Verzögerung auch retour: Die sparen wir für größere Anschaffungen. Solange die Löhne nicht kräftig steigen, kriegen wir die Wirtschaft auch nicht wieder flott. Es zahlt sich also für alle aus, wenn die Metaller:innen das verhandeln, was ihnen zusteht: ein anständiges Lohnplus.

Barbara Blaha

Barbara Blaha

leitet das ökosoziale Momentum Institut.