Basta, Basti: Kann der Altkanzler den Pensionsschock verkraften?
Missmutig starrte der Altkanzler auf die aufgeregt gurrende Taubenschar zu seinen Füßen. Eigentlich konnte er Tauben nicht leiden. Sie waren dumm, gefräßig und leicht verführbar. Aber genau deshalb fütterte er sie ja auch an. Weil er es halt doch sehr mochte, umschwärmt zu werden – egal von wem. Eigentlich war es fast ein bisschen wie früher, dachte er kurz. Aber andererseits halt leider auch wieder überhaupt nicht. Eine von den Tauben schien den Hals überhaupt nicht vollzukriegen. Von der Seite erinnerte sie den Altkanzler ein wenig an Wolfgang Fellner. Aber das machte das alles hier auch nicht besser. Er war doch viel zu jung, um sich gemeinsam mit dem Altfinanzminister auf eine Parkbank zu setzen und den ganzen Tag den Laptops beim Herumtollen zuzuschauen! Das konnte doch unmöglich alles gewesen sein!
Er wollte nicht den ganzen Tag mit dem Altfinanzminister im Park sitzen und den Laptops beim Spielen zusehen.
Der Altfinanzminister ging ihm auch auf die Nerven. Früher hatte er es nicht nur gemocht, sondern über weite Strecken sogar verlangt, dass der ihm überall hin folgte, die gleichen Anzüge hatte, die gleiche Frisur, dasselbe Verhältnis zur Wahrheit. Aber jetzt wurde ihm das immer lästiger. Sie trafen sich jeden Tag im Park, kamen aber immer über verschiedene Eingänge. Der Altkanzler aus Nordwesten, der Altfinanzminister auf dem genau gegenüberliegenden Weg. Im Stillen arbeitete der Altkanzler deshalb jetzt schon geraume Zeit daran, diese Süd-Ost-Route zu schließen. Oder besser gesagt: Er suchte nach einer Möglichkeit, es den Altfinanzminister zumindest glauben zu lassen. Aber obwohl er nun wirklich oft genug bei der „Krone“ angerufen hatte, um diese Exklusivgeschichte unters Volk zu bringen, wurde er jeden Morgen beim Blick auf die Titelseite aufs Neue enttäuscht. Schlimmer noch: Neuerdings hoben die nicht einmal mehr ab! Da wurde also brutalste Message Control ausgeübt! Und in ihr natürlich niemals so intendiertes genaues Gegenteil pervertiert!
In diesem Land hatte sich eindeutig nichts zum Besseren gewendet, seit aus dem Jung- ein Altkanzler geworden war.
Elli Köstinger defilierte gerade hinter den Tauben vorbei, ein Lebkuchenherz über dem Dirndldekolleté, auf dem mit Zuckerguss geschrieben stand: „Es gibt lei aan Sebastian!“ Sie zwinkerte dem Altkanzler zu, warf einige Kusshände. Das tat sie bereits zum vierzehnten Mal an diesem Vormittag. Also im Wesentlichen auch wie früher. Sie hatte ja auch als eigentlich einzige der türkisen Elitetruppe ihren Posten behalten dürfen. Aus noch unerfindlicheren Gründen wie jenen, aus denen sie ihn einst überhaupt bekommen hatte. Der Altkanzler missgönnte ihr das nicht einmal. Sie konnte sich jetzt nicht aus der Politik verabschieden und sich selbstständig machen, das verstand er. Der Markt für gehäkelte Topflappen war gerade etwas volatil.
Beim Altfinanzminister hatte der Altkanzler übrigens ähnliche Bedenken. Der war auch ein bisschen schwer vermittelbar. Eigentlich hätte er sich ja einfach wieder in die Wiener ÖVP zurückziehen können. Wer diese Landespartei anführte, die jetzt ohne den Schutzschild des Altkanzlers wohl wieder zur Splittergruppe gesundschrumpfen würde, war eigentlich herzlich egal. Aber der Altfinanzminister hatte sich in den Kopf gesetzt, auch in die Privatwirtschaft zu gehen. Nun ja. Wenn er glaubte. Vielleicht würde er ja Consultant. Politikberater. Einer, der aufstrebenden Jungtalenten erklärte, wie es gemacht wird. Auf diesem Feld war zwar im Prinzip neben HC Strache sicher noch Platz – aber dennoch hatte der Altkanzler so seine Zweifel.
Was ihn selbst betraf, hatte er natürlich keine. Gut, noch saß er da im Park herum, mit all den anderen Frühpensionisten. Aber das würde sich bald ändern. Wenn der Kern, diese Lusche, wieder einen Job gefunden hatte, dann würde das für ihn ja wohl auch kein Problem sein. Der Gusenbauer lobbyierte überhaupt für irgendwelche Autokraten und Oligarchen und verdiente sich dumm und dämlich dabei. Das würde bei ihm also schon noch kommen. In der Zwischenzeit würde er jedenfalls einmal sein Jus-Studium beenden, das konnte er in Zukunft sicherlich brauchen. Vor allem, wenn sie dann einmal die in Chatform gegossene, leider milieu- und lebensstilbedingte Logorrhö von Thomas Schmid fertig ausgewertet hatten. Wer weiß, wie viele Klagen der Altkanzler dann glorreich abzuschmettern hatte, bevor er seine Phönix-aus-der-Asche-Nummer zur Aufführung bringen konnte. Juristisches Rüstzeug konnte da keinesfalls schaden. Der Altkanzler hatte deshalb auch schon Fleischmann & Frischmann angewiesen, mit dem Lernen für seine nächste Prüfung zu beginnen. Es ging um römisches Recht, irgendwas mit Wildschweinen und Speeren. Also eh nicht so weit entfernt von heute und den ÖVP-regierten Bundesländern, in denen man ihn so gern gehabt hatte. Bis sie
sogar dort von Gott abgefallen waren. Das würden sie schon noch bereuen. Spätestens am Jüngsten Wahltag.
„Schau“, sagte der Altfinanzminister jetzt und wies auf die spielenden Laptops in der Wiese. „Sind sie nicht süß?“
Lange konnte das nicht mehr so weitergehen.