Kommentar

Auf dem Weg zur Maulkorb- und Propaganda-Republik

Verbieten, einschüchtern, kaputtsparen: Ein geleaktes Protokoll aus den Regierungsverhandlungen von FPÖ und ÖVP offenbart massive Angriffsversuche auf die Pressefreiheit – und auf das demokratische Grundprinzip einer unabhängigen und faktentreuen Aufklärung der Öffentlichkeit insgesamt.

Drucken

Schriftgröße

Zunächst ein Lippenbekenntnis zur Pressefreiheit, dann gleich eine politische Richtungsvorgabe: „Bekenntnis zu unseren heimischen Medien als Förderer österreichischer Identität und zentrale Säule unserer Demokratie“. So beginnt das Medien-Kapitel eines geleakten Protokolls aus den Regierungsverhandlungen von FPÖ und ÖVP von vergangener Woche. Offenbar waren beide Parteien mit der Formulierung einverstanden. Der grundlegende Fehler: Medien sind nur dann eine zentrale Säule der Demokratie, wenn sie unabhängigen und faktentreuen Journalismus transportieren. Solcher Journalismus zeichnet sich jedoch vielmehr durch kritische Distanz als durch nationale Identitätsförderung aus. Und wenn politische Parteien von „unseren“ Medien schreiben, ist ohnehin höchste Vorsicht angebracht. Umso mehr, wenn man den Rest des Verhandlungsprotokolls liest.

Verbieten, einschüchtern, kaputtsparen – so lässt sich zusammenfassen, was hier ausgebrütet oder zumindest diskutiert wird. Wobei manchmal auch das Problem darin liegt, dass einer der Verhandlungspartner einem positiven Vorschlag der Gegenseite die Zustimmung verweigert.

So stemmen sich laut dem Papier die Blauen nicht nur gegen eine Erhöhung der Qualitätsjournalismus-Förderung. Sie weigern sich sogar, die Förderung von „Kriterien wie Faktizität, Quellenherkunft und journalistische Sorgfalt“ abhängig zu machen. Damit könnten wohl auch populistische Krawall-Plattformen ein Stück vom Förderkuchen beanspruchen. Was Inserate der öffentlichen Hand betrifft, stellt sich die FPÖ gegen den Vorschlag, keine Werbung in extremistischen Medien zu schalten. Die ÖVP wiederum lehnt ab, dass alle Medien, die bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllen, einen Rechtsanspruch auf öffentliche Inserate haben sollen – in der Höhe ihres Reichweiten-Anteils. Den ORF will die FPÖ zu Einsparungen zwingen.

Bereits einig sind sich die Parteien, wenn es ums Verbieten und Einschüchtern geht – insbesondere bei der Justiz-Berichterstattung: FPÖ und ÖVP wollen nicht nur ein Akten-Zitierverbot, sondern auch eine „konsequente und verhältnismäßige Regelung der Verdachtsberichterstattung“ umsetzen. Das weckt Erinnerungen an einen früheren ÖVP-Vorschlag, der einen – potenziell sehr weitreichenden – Straftatbestand für Journalistinnen und Journalisten geschaffen hätte. Verdachtsberichterstattung ist in Österreich schon jetzt geregelt. Ein Zitierverbot wäre ein massiver Rückschritt in Sachen Transparenz und reine Anlassgesetzgebung wegen der Chat-Affären von ÖVP und FPÖ. Eine strafrechtliche Verankerung birgt das Risiko, dass Journalisten noch weniger berichten, als erlaubt ist – um ganz sicher zu gehen.

Heikel scheint auch das Ansinnen beider Parteien, strafrechtliche Bestimmungen zum verstärkten „Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen“ zu prüfen und den Verrat militärischer Geheimnisse durch Zivilpersonen strafbar zu machen. Es liegt auf der Hand, dass das auch Journalisten beziehungsweise deren Quellen treffen kann. Selbiges gilt für eine – ebenfalls geplante – Verschärfung des Strafrechts mit Blick auf das „illegale Eindringen in Stallungen“. Nicht wenige Tierhaltungs-Skandale, über die in den vergangenen Jahren berichtet wurde, spielten sich in Stallungen ab.

Gleichzeitig stellt sich die FPÖ laut dem Verhandler-Papier gegen Maßnahmen, welche dafür sorgen könnten, dass qualitätsvolle Information auch entsprechend wahrgenommen wird: gegen einen strategischen Schwerpunkt zur Vermittlung von Medienkompetenz in Schulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen; und gegen die Bekämpfung von Desinformation im Rahmen europäischer Zusammenarbeit – zur Verhinderung ausländischer Einflussnahme.

Alarmierendes Fazit: Das Protokoll aus den Regierungsverhandlungen enthält wesentliche Bausteine für eine Maulkorb- und Propaganda-Republik. Wer jedoch am Grundprinzip einer unabhängigen und faktentreuen Aufklärung der Öffentlichkeit rüttelt, stellt die Demokratie insgesamt in Frage.

Stefan Melichar ist Vorsitzender des RedakteurInnenausschusses von profil. Dieses Gremium befasst sich insbesondere mit Fragen der redaktionellen Unabhängigkeit.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.