Brunners Brüssel-Bummerl
ÖVP-Kanzler Karl Nehammer freut sich über Magnus Brunners neuen Job mehr als dieser selbst. Zu Beginn der Woche stellte Ursula von der Leyen ihre EU-Kommission vor. Österreich bekommt überraschend das Ressort Migration zugewiesen. Magnus Brunner musste einmal tief durchatmen. Sein (naheliegender) Wunsch als Finanzminister war es, irgendetwas mit Wirtschaft zu bekommen. Aber Migration? Damit hatte Brunner bisher nichts zu tun. Aber man wächst ja mit den Aufgaben, heißt es.
Für Nehammer hätte es eineinhalb Wochen vor der Nationalratswahl jedenfalls keine bessere Nachricht geben können. Er ringt mit der FPÖ um den Sieg, das Nummer eins Thema dieser Wahl ist Migration. Die ÖVP versucht zwar mit einem Rechtskurs an die Wahlerfolge von Sebastian Kurz anzuknüpfen, die FPÖ besetzt und verteidigt ihr Stammthema aber erfolgreich. Mit einem Migrationskommissar in Brüssel kann Nehammer bei der Wählerschaft auftrumpfen: Immerhin hat man jetzt einen Mann an oberster Stelle als Zuständigen. Darin liegt aber auch die Krux: Soll Brunners Job für die ÖVP nicht zum Boomerang werden, muss dieser liefern. Einfach Bummerl nach Brüssel schicken, wie die ÖVP das in Zusammenhang mit der Migrationspolitik gern tat, geht jetzt nicht mehr.
Ursula von der Leyen hat ihre Entscheidung strategisch klug getroffen. Den Posten sollte ein Land bekommen, das über Erfahrung in Migrationsfragen verfügt. Auf die Bevölkerung gerechnet lag Österreich bei der Aufnahme von Flüchtlingen lange auf Platz drei. Mittlerweile ist man im Ranking ein paar Plätze zurückgerückt – man könnte das als Erfolg der heimischen Asylpolitik werten. Die großen von Migration betroffenen Länder wie Frankreich, Deutschland, Italien oder Griechenland kamen aus Ursula von der Leyens Sicht für den Job des Migrationskommissars nicht in Frage. Denn diese haben zu viele Eigeninteressen, um die nötigen Kompromisse effektiv vorantreiben zu können. Davon abgesehen, dass sich Europas mächtigste Nationen gewichtigere Ressorts als Migration aussuchen. Andere Länder wie Ungarn schieden aus, weil sie von Menschenrechten weniger halten.
Ein weiteres Argument für Österreich: Man hat ein gutes Gesprächsverhältnis zu jenen Staaten, die als Störenfriede in der europäischen Asylpolitik gelten. Nehammer hielt medienwirksam mehrere Asylgipfel mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban und Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić ab. Und schließlich soll Ursula von der Leyen dem Vernehmen nach einen weiteren Beweggrund gehabt haben, Österreich auszuwählen. Dieser hat mit ihrem Heimatland zu tun. In Deutschland wird nächstes Jahr gewählt. Voraussichtlich wird der nächste Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) heißen. Migration ist auch für Deutschland ein innenpolitisch brennendes Thema. Für Merz soll es daher auf EU-Ebene eine Ansprechperson aus derselben Parteienfamilie und demselben Sprachraum geben.
Der Job für Brunner kann aber auch als Disziplinierungsmaßnahme gelesen werden: Österreich muckte in Brüssel immer wieder auf und verhinderte den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien mit dem Argument, man müsse zuerst das Asylproblem auf EU-Ebene in den Griff bekommen.
Das ist jetzt der – undankbare – Job von Brunner. Die EU hat sich im Mai auf einen Migrations- und Asylpakt geeinigt: Dieser sieht eine Entlastung jener EU-Länder vor, die am meisten von irregulärer Migration betroffen sind; dazu schnellere, einheitliche Verfahren. Die Mitgliedstaaten müssen nun vorlegen, wie sie den Pakt umzusetzen gedenken. Geplante Maßnahmen sind das eine – deren Durchsetzbarkeit das andere.
Managementqualitäten sind gefragt. Magnus Brunner muss Solidarität einfordern und gemeinsame Nenner zwischen 27 Mitgliedstaaten definieren. Er muss sie dazu bewegen, Lösungen mit Transit- oder Herkunftsländern zu finden. Bisher kochte jeder EU-Staat sein eigenes Süppchen. Österreich hat etwa separate Abkommen mit Marokko und Tunesien geschlossen. Das ist teuer und wenig zielführend. Ein erstes gemeinsames Abkommen unterzeichnete die EU im März mit Ägypten . 7,4 Milliarden Euro fließen bis 2027 nach Kairo, damit Präsident Al-Sisi die Migration aus Afrika in die EU eindämmt. Derartige Abkommen werden in Brüssel als Lösungsansätze der Zukunft gesehen, neben einem harten Law-And-Order-Kurs beim Schutz der EU-Außengrenzen.
Österreich soll also seine traditionelle Rolle in der Staatengemeinschaft einnehmen: Brücken bauen, diplomatisch vermitteln; etwas, das Magnus Brunner an sich liegt. Es wird allerdings auch viel Diplomatie brauchen, um Nehammer davon zu überzeugen, nicht mehr den Asylrevoluzzer auf EU-Ebene zu spielen, um innenpolitisch zu punkten. Dass parteipolitische Interessen meist über allem stehen, kann man in diesen letzten Tagen des Wahlkampfs wieder eindrücklich beobachten.