Budgetdefizit: Zahlenspiel oder ernsthaftes Problem?
Die Experten des Fiskalrats und des Finanzministeriums streiten um die voraussichtliche Höhe des Budgetdefizits. Im Fokus steht die magische Grenze von drei Prozent des BIP, die nach den Maastricht-Kriterien der EU gerade noch akzeptabel sind. Laut Finanzministerium wird Österreich mit 2,9 Prozent sicher unter dieser Grenze bleiben, der Fiskalrat schlägt hingegen Alarm: Die Grenze werde mit 3,4 Prozent jedenfalls überschritten. Die EU-Kommission schlägt sich hinsichtlich der Verletzung des Ziels auf die Seite des Fiskalrats.
Ist der Streit um diese Zehntelprozentpunkte wirklich relevant? Juristisch in gewisser Weise, weil Stabilitätskriterien der EU verletzt werden oder nicht. Politisch im Inland noch viel mehr, weil die Regierung beim Budgetbeschluss sehr stolz war, das Kriterium einzuhalten – und jetzt der Falschaussage geziehen wird. Aber ökonomisch?
Ökonomisch gesehen kommt es nicht auf ein paar Zehntelprozentpunkte während ein oder zwei Jahren an. Das wirkliche Problem liegt in der mittelfristigen Entwicklung des Maastricht-Defizits und der Staatsschuldenquote.
Schon in der mittelfristigen Finanzplanung im Herbst 2023 war keine ambitionierte Entwicklung der kommenden Jahre angelegt. Zu einer Defizitreduktion sollte es danach bis 2027 nicht kommen. Für 2027 wurden immer noch 2,7 Prozent als Planungswert ausgewiesen. Es wurde also keine Budgetkonsolidierung geplant. Der Fiskalrat kritisierte damals schon die fehlenden Anstrengungen, den öffentlichen Haushalt wieder auf eine nachhaltig stabile Basis zu stellen. Die jüngeren Dokumente verstärken diese Kritik. Das Finanzministerium meldet in seinem nach Brüssel gesandten Stabilitätsbericht weiter Defizitwerte von knapp unter drei Prozent. Der Fiskalrat ist noch pessimistischer. Und auch das WIFO zeichnet jüngst längerfristig steigende Defizite bis zum Jahr 2028.
Anders als vielleicht vermutet, sind wir nicht wegen der Krisen der letzten Jahre in diese Situation hineingeraten.
Faktum ist also: Die österreichische Finanzpolitik ist nicht nachhaltig. Es wird kein Weg aufgezeigt, wie wir in den kommenden Jahren Einnahmen und Ausgaben wieder annähern werden. Das aber wäre dringend nötig, um einen finanzpolitischen Spielraum für die Bekämpfung kommender Krisen oder für die Finanzierung neuer Projekte zu erhalten. Und auch die EU-Kommission wird vor dem Hintergrund des neuen EU-Fiskalrahmens auf Österreich Druck ausüben, die Staatsschuldenquote jährlich zu reduzieren – und nicht anwachsen zu lassen, wie das gegenwärtig die Tendenz ist.
Anders als vielleicht vermutet, sind wir nicht wegen der Krisen der letzten Jahre – Covid, Ukrainekrieg, Inflation – in diese Situation hineingeraten, wenngleich rückblickend auch bei manchen krisenbedingten Maßnahmen mehr Sparsamkeit, Fokussierung und kürzere Laufzeiten sinnvoll gewesen wären. Die eigentliche Problematik liegt darin, dass wir Staatseinnahmen gesenkt oder auf niedrigem Niveau eingefroren haben, etwa durch die Senkung der Körperschaftssteuer oder die Abschaffung der kalten Progression, aber auf der Ausgabenseite munter Steigerungen vorgenommen haben, mit denen die Wünsche diverser Bevölkerungsgruppen erfüllt wurden. Und das passt halt nicht zusammen.
Glaubt man den Aussagen der wahlwerbenden Politiker beziehungsweise betrachtet man die jüngst im Ministerrat verabschiedeten Maßnahmen, wird diese Tendenz weitergehen. Ein finanzielles Desaster wäre die Folge. Denn dann werden sich jene Trends verstärken, die uns schon jetzt Bauchweh bereiten sollten: zum Beispiel der Verlust des letzten AAA-Ratings Österreichs durch die Europäische Ratingagentur Scope oder der deutliche Zinsabstand zu Deutschland (zuletzt im Fall der 10-jährigen Staatsanleihen 50 Basispunkte, Anm.).
Nach den Wahlen muss also Klartext geredet werden. Und das wird auch Zeit. Denn mit der Position Österreichs bei den Staatsschulden im EU-Vergleich sollte es nicht weiter nach unten gehen wie mit der Wettbewerbsfähigkeit bei den Arbeitskosten. Eine Budgetkonsolidierung bei Aufrechterhaltung der für die soziale Sicherheit nötigen Ausgaben wird nicht leicht werden. Dennoch führt daran kein Weg vorbei.
Zur Person
Christoph Badelt ist emeritierter Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der WU Wien und Präsident des Fiskalrats.