Buh, ich bin’s, das Schreckgespenst Gentechnik!
Österreich ist ein erstaunliches Land. Hier kann eine wissenschaftliche Erfindung einen Nobelpreis gewinnen und trotzdem als Werkzeug des Teufels verdammt werden. Die EU will den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft erleichtern. Genauer gesagt geht es um das neue Mutationsverfahren der Genschere Crispr/Cas. Mit diesem molekularbiologischen Verfahren können DNA-Stränge an einer vorgegebenen Stelle durchgeschnitten und gezielt verändert werden. Ziel des Deregulierungsvorhabens ist etwa, gegen Wassermangel oder Schädlinge widerstandsfähigere Gewächse zu züchten. In Zeiten des Klimawandels eine wichtige Sache, wenn es um Ernährungssicherheit und Anpassung an rauere Bedingungen geht. Davon abgesehen ist die Methode freilich vielfach getestet, hat Zulassungsverfahren durchlaufen – und schließlich haben, wie gesagt, ihre Erfinderinnen sogar den Nobelpreis für Chemie bekommen.
Während sich die Wissenschaft über Erfolge freut, zeigt die Politik gewohnt emotionale Abwehrreflexe. „Der Vorschlag der Kommission ist eine Gefahr für den österreichischen Weg der Landwirtschaft und nimmt KonsumentInnen auch ihre Wahlfreiheit“, sagte die Grüne Umweltministerin Leonore Gewessler. Worin genau die Gefahr bestehen soll, bleibt offen. In ein ähnliches Horn stoßen auch der Grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch sowie ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig. Freilich wissen alle Genannten, dass Gentechnik in der Landwirtschaft bereits weit verbreitet ist. Es heißt nur nicht so, wenn es um künstlich herbeigeführte Mutationen geht, die auch auf natürliche Weise in der Natur stattfinden könnten.
Auf vielfältigste Art wird versucht, Pflanzen zu züchten, oder zu kreuzen. Bei der Mutagenese etwa kommen chemische Stoffe oder radioaktive Strahlen zum Einsatz. Die Genschere arbeitet schneller, präziser und kostengünstiger. Gerade in der Landwirtschaft hätte der gezielte Einsatz den Vorteil, dass weniger Pestizide verwendet werden müssen. Letzteres ist eine Hauptforderung der Umweltministerin. Aber offenbar will sie weder Pestizide noch gentechnisch veränderte Sorten. Es wäre zwar schön, wenn Pflanzen in einer hochindustrialisierten Landwirtschaft nur durch Wasser und Liebe wachsen würden, aber so ist es halt nicht.
Abgesehen von der der Bestellung der Felder sollte sich die Spitzenpolitik auch überlegen, welche Samen sie in der Bevölkerung sät. Österreich weist bei Eurobarometer-Umfragen katastrophale Werte auf, wenn es um Interesse, Vertrauen und Wertschätzung von Wissenschaft geht. Das hat auch und vor allem mit der Politik zu tun. Sie schürt Skepsis auf subtile Weise, indem sie dazu aufruft, nicht alles zu glauben, was man hört. Das geht rein! Weil, wer sieht sich selbst nicht gern als kritischen Geist? Aber unberechtigtes Misstrauen ist etwas anderes: Zu glauben, gescheiter als Experten zu sein, ist schlicht vermessen. Man muss auch nicht alles selbst verstehen, um es für sinnvoll zu halten. Man muss nicht jedes Detail der Wirkungsweise einer Chemotherapie kennen, um sie als probates Mittel im Kampf gegen Krebs anzuerkennen. Wir wissen, dass lange daran geforscht wurde. Dass dahinter Qualitätssicherungs- und Zulassungsverfahren stehen – und, dass es wohl auch nur für den Moment das Beste ist, was wir haben, bis etwas Besseres gefunden wird.
Im Kampf gegen Covid stellte sich die Politik auch auf diesen Standpunkt. Wie groß der Glauben an die viel zitierte Wissenschaft wirklich war, darf im Nachhinein infrage gestellt werden. Freilich war es auch schlicht bequem, unangenehme Entscheidungen auf Experten abzuwälzen. Man war sich auch nicht zu blöd, sich genau davon später wieder zu distanzieren. Oder wie Innenminister Gerhard Karner es nannte: „Wissenschaft ist das eine, Fakten sind das andere.“ Was auch immer das heißt.
Aber warum ist Österreich so? Warum glauben wir nicht, dass uns Innovationen weiterbringen? Warum redet bei uns immer die Unvernunft mit? Es ist anzunehmen, dass die Religion in einem katholischen Land das ihre tut: Während sich die Wissenschaft ergebnisoffen nach vorne wendet, sich wandelt und selbstkritisch hinterfragt, tut Religion das Gegenteil: Da gibt es Jahrtausende alte, allgemeingültige Regeln, die sich nicht verändern. Vielleicht hat die Skepsis auch mit der Geschichte zu tun: 1997 wurde federführend von der „Kronenzeitung" derart Stimmung gegen Gentechnik gemacht, dass 1,2 Millionen Menschen ein Volksbegehren unterstützten. Aber seitdem hat sich die Welt schnell weitergedreht – und die sollten wir besser gestalten als erhalten. Das gelingt mit modernen, zukunftsfitten Werkzeugen besser. Oder anders gesagt: Warum soll man ein Loch mit einer Schaufel graben, wenn man einen Bagger haben kann?