Christian Rainer: Eine Alternative zur Demokratie
Es brauchte den Bundeskanzler, um die von undurchschaubarer Gastlichkeit und um nichts durchsichtigeren Milliardenverträgen eingelullten Besucher aus Österreich zurück auf festen Boden zu hieven. Nach fünf Tagen China und noch in Erwartung der Pandabären schien sich der Eindruck zu verfestigen, das bereiste Land sei die Wiege des Manchesterliberalismus, ja es habe in seinen Freiheitsrechten die Forderungen der Französischen Revolution längst übererfüllt. Sebastian Kurz rückte das Bild zurecht, indem er die Kritiker der USA innerhalb der Delegation darauf hinwies, China sei „in wesentlichen Teilen viel protektionistischer als Donald Trump oder Europa, es startet auf einem ganz anderen Niveau“. Man habe zwar „die Worte von Präsident Xi Jinping gehört“, nun müssten aber die Taten folgen. Auf die profil-Frage, ob sich die Chinesen denn – wie die Europäer und die Amerikaner – überzeugt zeigten, ihr eigenes politisches System sei das einzig richtige, sagte Kurz: „Nein. Anders als wir haben die Chinesen nichts Missionarisches an sich.“ Sie vermittelten schlicht den Eindruck, dass sie „angekommen sind“. Bundespräsident Van der Bellen wiederum formulierte, von profil auf die Menschrenrechtssituation angesprochen, vorsichtig: „Die Chiffre mit der Charta der Vereinten Nationen geht für die Chinesen sehr weit. Für andere ist sie vielleicht zu wenig.“
Scharfe Kritik an China ist das eine wie das andere nicht. Im Vergleich zu den Überlegungen von Wolfgang Schüssel darf man freilich einen Fortschritt im Diskurs feststellen. Wenn ich mich richtig erinnere: Der damalige Bundeskanzler wies bei seiner Chinareise im Jahr 2005 die Frage nach einem Vergleich des zuvor von Bundespräsident Heinz Fischer bereisten demokratischen Indien mit dem autoritären China als „unsinnig“ zurück. Heute ist Schüssel übrigens gemeinsam mit anderen ehemaligen Regierungschefs ein regelmäßiger Gast bei Xi Jinping; so wird es von der österreichischen Botschaft in Peking kolportiert.
Betrachten wir also die unterschiedlichen Systeme, widmen wir uns der Frage, ob die Menschenrechte wirklich allgemeingültig sind und sein müssen, ob diese außerhalb einer repräsentativen Demokratie überhaupt gelten können und ob eine derartige Demokratie das einzig richtige System zu sein hat!
Kleine Zweifel an der universellen Glücksformel namens Demokratie kommen auf, wenn wir die Versuche sehen, Staaten wie den Irak, Afghanistan, Libyen oder Ägypten zu zivilisieren.
Darauf gibt es nämlich keine eindeutigen Antworten mehr. Und daran ist eben jenes China schuld. Nach unseren Vorstellungen ist eine Mehrparteiendemokratie Ziel und Endpunkt der politischen Evolution – mit wiederkehrenden Wahlen, Gewaltentrennung, Checks and Balances, breit formulierten, wenn auch nicht taxativ erfassbaren Menschenrechten. Dieses Selbstverständnis ziehen wir aus historischer Erfahrung: Diktaturen und absolutistische Monarchien haben immer zu Unfreiheit, Willkür und ökonomischer Verelendung geführt. Im 20. Jahrhundert waren das Hitler-Deutschland und Japan sowie die Sowjetunion mit ihren Trabanten. Die kommunistische Resteverwertung in Kuba, Venezuela und Nordkorea tut ihr Übriges.
Kleine Zweifel an der universellen Glücksformel namens Demokratie kommen auf, wenn wir die Versuche sehen, Staaten wie den Irak, Afghanistan, Libyen oder Ägypten zu zivilisieren. Das Überstülpen westlicher Werte und Strukturen funktioniert nicht. Hier können wir uns argumentativ allerdings mit dem Hinweis behelfen, dass man diesen Gesellschaften mehr Zeit hätte geben müssen – und dass die Alternative zur Demokratie weiterhin auch nur Mord und Totschlag bedeutet.
Doch dann kam China, und da greifen diese Argumente nicht. China hat sich unter den Bedingungen einer Einparteiendiktatur in atemberaubendem Tempo aus dem Armenhaus der Welt zur bald mächtigsten Industrienation hochgeschraubt – die Verbindung von staatlicher Planung und freiem Markt läuft rund. Gewaltentrennung und unabhängige Medien existieren nicht, die Menschenrechte im Sinne von Freiheitsrechten sind stark eingeschränkt – doch der Widerstand gegen das System hat keine Relevanz, die Bevölkerung ist mit den herrschenden Strukturen weitgehend zufrieden.
Hat die Demokratie im chinesischen System ihren Meister gefunden? Derzeit noch nicht: Dieses System hat sich unter sehr speziellen historischen und kulturellen Bedingungen durchgesetzt. Allerdings gilt auch nicht mehr, was vor einem Jahrzehnt vorherrschende Meinung im Westen war: Die Chinesen würden sich schon ihre Freiheiten erkämpfen, sobald Prosperität einkehrt und eine breite Mittelschicht entstanden ist. Davon kann keine Rede sein.
Vielmehr müssen wir uns nun die Frage stellen, ob die Chinesen mit ihren Waren und ihren Investitionen auch ihr System exportieren werden – ganz ohne missionarischen Eifer, bloß auf Basis wirtschaftlicher Hegemonie.
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