Leitartikel

Christian Rainer: Corona macht Kasse

Der Kampf gegen die Pandemie wird von Lobbys gekapert. In Österreich jedenfalls.

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Wir gewinnen zunehmend den Eindruck, dass sich die Bundesregierung nur mehr irgendwie ins nächste Jahr und via Impfung zurück in die politische Normalität retten will. Wenn etwa Sebastian Kurz in der vergangenen Woche zum x-ten Mal die normale Normalität auf den kommenden Sommer datiert, dann müssen wir das als Verzweiflungsschrei werten. Motto: Obwohl ich alles besser weiß, weiß ich es ja auch nicht besser. Bei seinem weniger umstrittenen Widerpart Rudolf Anschober hingegen zittert das halbe Land, das ganze Land würde bemerken, dass auch er unentwegt Fehler macht. Gegen diese Erkenntnis hatte sich der Gesundheitsminister bisher erfolgreich immunisiert, indem er Fehler eingestanden hatte, bevor sie ihm vorgeworfen wurden. Aber wie lange noch?

Hätten die beiden, hätten die Republik, Bund, Länder Corona besser managen können? Grosso modo nein, im Detail ja. Die erste Welle nein, die zweite Welle ja.

Möglicherweise wird aber jetzt, wo ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist, das nicht von einem entgegenkommenden Zug ausgestrahlt wird, größerer Schaden angerichtet als im zurückliegenden annus horribilis. Mehr und mehr wird der Kampf gegen die Pandemie zu einem Wettstreit von Interessensgruppen, die der erschöpften Regierung noch möglichst viel herausreißen wollen.

Dabei dreht es sich vor allem um die sogenannte Wirtschaft. Die Tatsache, dass die Kanzlerpartei auch Wirtschaftspartei ist, bringt Ungemach. Symbolträchtig: An der Spitze der mächtigen Wirtschaftskammer und von Kurz dort hingepflanzt sitzt der ehemalige Wirtschaftsminister der Volkspartei. Im Grunde müsste sich der Kanzler ständig für befangen erklären, wenn wieder eine Branche, ein Sektor nach Geld schreit.
Höhepunkt der Interessensbefriedigung (und -befriedung): der Ersatz, den der Handel erhält, weil die Geschäfte zusperren mussten. Dass sich dieser Ersatz am Umsatz ermisst – und bis zu 60 Prozent dieses entgangenen Umsatzes ausmacht –, ist völlig irrwitzig. Zusätzlich zu Kurzarbeit und anderen Stützungszahlungen wohlgemerkt.

In Branchen, die nur wenige Prozent Umsatzrendite machen, wird die Regelung mangels Wareneinsatzes zum Riesengeschäft. Kein Wunder, dass manche Geschäfte im Dezember gar nicht aufsperren wollen. „Selbstverständlich hätte sich der Ersatz am entgangenen Gewinn bemessen müssen“, sagt mir der Generaldirektor eines Industrieunternehmens. Auch kein Zufall: Viele Gastronomiebetriebe und Hotels wollen mit Weihnachten keinesfalls öffnen. Hier ist die Regelung nicht ganz so aberwitzig wie im Handel, aber dennoch großzügig. Als wären der Staat und seine Steuerzahler ein Versicherungsunternehmen für Pandemien und jede Form von höherer Gewalt.

Chaotisch gerät auch der Streit um die Schulen. Wer es noch nicht mitbekommen hat: Der Kanzler war immer für eine möglichst umfassende Schließung der Schulen, zeigte unverhohlen Skepsis angesichts des Fortbetriebes zu Beginn des Monats. Sein Unterrichtsminister hält verbissen dagegen. Ob hier noch medizinische Argumente eine Rolle spielen oder aber das Mächtespiel von Ministerien, Landeshauptleuten, Gewerkschaften und Elternvertretern, ist längst nicht mehr ersichtlich.

Skurril auch die Regelungen für die Kultur während des soften Lockdowns: Warum die Museen zusperren mussten, konnte niemand erklären. Ein Schelm, der vermutet, es hätte mit der Rivalität zwischen Opern- und Museumsdirektoren zu tun gehabt.

Der Wintertourismus schließlich. Hier arten die Interessenskonflikte zu einem internationalen Streit aus, wie ihn Europa selten gesehen hat: Staaten mit Wintertourismus gegen Staaten mit wenig Wintertourismus.  Besser gesagt: Ein Staat gegen alle anderen, Österreich gegen die Welt. (Lesen Sie dazu auch Robert Treichlers Kommentar!) Die deutsche Kanzlerin fordert ein europaweites Verbot von Wintersport. Deutsche Medien vermuten, dies sei auch eine Retourkutsche gegen Sebastian Kurz. „Merkel vergisst nicht“, titelt der „Münchner Merkur“ und bezieht sich auf Österreichs Widerstand gegen das EU-Budget beim Gipfeltreffen im Sommer. Aber auch die skiaffinen Nationen Frankreich und Italien lassen Wien allein im Schnee stehen.

In der Tat ist der österreichische Ski-Kurs mitten in der zweiten Corona-Welle schwer zu argumentieren. Oder gar nicht. Oder nur mit Lobbys und Interessen. (Und nur gegen Ischgl.)

 

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.