Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Das macht Faymann falsch

Das macht Faymann falsch

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Die öffentlichen Auftritte des Bundeskanzlers häufen sich. Mit Frau Martina ist er bei Claudia Stöckl sonntags Frühstücksgast, mit (oder gar gegen) Ingrid Thurnher und Starregisseur Stefan Ruzowitzky führt er Anfang September ein „Sommergespräch“, im Juli saß er eine ORF-„Pressestunde“ ab, dazwischen gab’s einige Print-Interviews und auch mal ein Foto von einem Gipfelsieg in den österreichischen Alpen.

Von dieser ausladenden Präsenz in journalistischen Formaten, die breite eigene Gestaltungsmöglichkeiten zulassen, bleibt freilich wenig hängen. Faymann will die „ÖIAG auflösen“, was angesichts von deren Dominanz durch die Volkspartei wenig überraschen kann. Er erklärt, ein neues ORF-Gesetz würde „nicht automatisch die Ablöse der ORF-Führung“ bedeuten, was juristisch einsichtig und daher bloß ein Hinweis auf das bisherige Scheitern beim Kippen eben jener Führung ist. Und der rote Kanzler will „Heinz Fischer als Präsidentschaftskandidaten“ unterstützen – hört, hört! –, also den roten Kandidaten.
Was macht Faymann bloß falsch?

Ein Jahr nach dem Putsch gegen Alfred Gusenbauer ­(den dieser freilich selbst erzwungen hatte) sieht die Sache etwa so aus. Erstens: Faymann war zwar nicht überschätzt worden, aber Josef Pröll unterschätzt. Das führt zu einem relativen Debakel für den Kanzler. In Zahlen bemisst sich das Problem so: Der Vizekanzler liegt in der Kanzlerfrage stabil gleichauf mit dem Kanzler. So etwas hat es in der Zweiten Republik zuvor kaum gegeben. Dass die ÖVP zugleich vor der SPÖ liegt, bleibt da geradezu Nebenaspekt. Die Befürchtungen der Volkspartei, sie werde als Juniorpartner einmal mehr über Jahrzehnte im Schatten der Sozialdemokratie darben, haben sich nicht bewahrheitet.

Was führte zu diesem Ungleichgewicht? Vor allem die Stärke von Pröll, der übers Jahr an Kontur gewonnen hat. Kommunikationstraining? Dazu sagt er selbst: „Keinesfalls.“ Die sichtbare Veränderung liege eher an stetig zunehmendem Selbstvertrauen, das dann wiederum selbstverstärkend wirke. Das ist eine plausible Erklärung. Hinzu kommt: Pröll hat keine großen Fehler gemacht. Die Volkspartei, ansonsten eine Schlangengrube inmitten eines Tretminenfelds, das von Treibsandkanälen durchzogen wird, gibt sich daher friedlich.

Faymann hingegen: Er hielt ungefähr, was erwartet worden war. Das ist in der Relation aber zu wenig. Hinzu kamen Fehler, die dem vermeintlichen Großmeister der Macht nicht passieren hätten dürfen: widersinniger wie verlorener Kampf gegen die (rote!) ORF-Führung; verlorener Streit mit den Lehrern (und daher mit den Eltern); wahnwitzige Positionierung gegen die Vermögen- und Erbschaftssteuer; Liebe und Kabale mit der „Krone“. Die Folgen: schlechte Umfragewerte; verheerende Kritik aus der eigenen Partei; vermutlich kein wild wucherndes Selbstwertgefühl.

Zweitens: Daneben hat Faymann ein Problem, das nichts mit dem Koalitionspartner zu tun hat. Es gründet in der Frage: „Was ist ein Kanzler?“
Für Josef Pröll erwies es sich als Segen, dass er – gegen alle Warnungen – das Finanzministerium übernommen hat. Das ergibt ein klar umrissenes (in diesen Zeiten überdies unbegrenzt wichtiges) Aufgabengebiet. Schon Karl-Heinz Grasser konnte dort ohne Fachwissen brillieren.
Aber „Kanzler“? Da sind die Aufgaben inhaltlich kaum definiert. „Der Bundeskanzler ist der Vorsitzende der Bundesregierung, verfügt jedoch über kein Weisungsrecht gegenüber den anderen Mitgliedern der Bundesregierung“, heißt es dazu auf der Homepage des Kanzleramts. Schon zehn Zeilen später ist Schluss mit der Beschreibung des wichtigsten Amts im Staat.

Wer Kanzler ist, muss sich die Aufgaben also selber suchen. Dazu gehören Visionen. Damit Visionen nicht banal sind, braucht es einen intellektuellen Überbau. Damit sie nicht Fantasien bleiben, braucht es Gestaltungswillen. Damit sie verstanden werden, braucht es Verbalisierungskraft. Damit dann auch noch jemand zuhört, braucht es große Rhetorik. Bei all dem zeigte Faymann im vergangenen Jahr mäßige Begabung und steigerbares Interesse. Und der Kanzler soll natürlich führen. Daher muss er entscheiden. Dafür braucht er Mut. Daran fehlte es Faymann ebenso.

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