Leitartikel

Christian Rainer: Die Welt auf Schlingerkurs

Von Pompeo bis Corona. Erratisches Handeln bestimmt das Geschehen. Kann das Schlechte gut gehen?

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Mit dem Eintreffen von Mike Pompeo am Ende der vergangenen Woche schien erstmals seit Monaten Normalität eingekehrt zu sein. Ein amerikanischer Außenminister besucht Österreich. Er macht gute Figur. Er trifft die Repräsentanten der hohen Politik, um unter dem Mantel diplomatischer Höflichkeit für die eigene Sache zu lobbyieren. Er plaudert mit den Spitzen der österreichischen Industrie, damit sich das wirtschaftliche Gefüge stabilisiert und sich die Interessen weg von Russland und China in Richtung der Vereinigten Staaten fokussieren. Man trägt keine Masken. Nur die Entourage gibt sich bedeckt. Das Zusammentreffen von Pompeo und Alexander Van der Bellen gerät fast zu einem Aufeinanderprallen. Das spielerische Berühren der Ellbogen erinnert an Squaredance und Tiroler Volkstanz.


Alles friedlich, alles gut. Die Welt ist von Respekt geprägt. Gemeinsam suchen wir nach lokaler und globaler Prosperität. Die Sonne flutet den Wiener Ballhausplatz. Die Normalität, nach der wir uns sehnen.


Mike Pompeo ist Außenminister im Kabinett des mächtigsten und verrücktesten und in dieser Kombination gefährlichsten Menschen der Welt. Donald Trump hat die Klimakatastrophe verleugnet wie auch das Coronavirus. Er ersetzt die über ein halbes Jahrhundert gewachsenen Allianzen durch global gestreute Missgunst und Kampfrhetorik. Mit dem Family Business im Weißen Haus ist die Legitimation der repräsentativen Demokratie auf den Prüfstand geraten. Mit „Pussy Grabbing“ hat er die zivilisatorischen Fortschritte der westlichen Gesellschaft zunichtegemacht und deren Gegenteil wählbar.

"Der Kampf gegen die Krankheit ist so unberechenbar geworden wie der Erreger selbst."

Pompeo ist seit zwei Jahren und vier Monaten der mächtigste Politiker in der Gunst des Allmächtigen. Die Nachrichten von seinem Besuch in Österreich bilden keine Normalität ab. Es sind Fake News. Während also der amerikanische Politiker durch die Bundeshauptstadt stiefelte, wogte und wabbelte die Corona-Pandemie rund um den Erdball, was sich zeitgleich
zu dem hohen Besuch in Österreich konkret manifestierte: Am Freitag um 13.00 Uhr erließ das Außenministerium eine Reisewarnung für Kroatien, die in der Nacht von Sonntag auf Montag in Kraft treten werde. Zuvor waren täglich weit über 100 neue Ansteckungen registriert worden, wovon eine satte zweistellige Zahl in Zusammenhang mit einem Aufenthalt in Kroatien steht. Ausgerechnet Kroatien, neben Italien ein liebstes Urlaubsland der Österreicher! Heimat so vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger oder von deren Ahnen. Jetzt werden sie, werden wir mit 59-stündigem Ultimatum zurückgerufen. Ein verseuchtes Gebiet. Fliehet und wehret den fortgeschrittenen Anfängen!


Der Kampf gegen die Krankheit ist so unberechenbar geworden wie der Erreger selbst. Die Politik schlingert durch die Untiefen der Pandemie (natürlich nicht nur hierzulande). Öffnen, schließen. Maske ab, Maske auf. Strafen, nicht strafen. Da geht alles Vertrauen verloren. Die Wege des Virus erweisen sich als nicht nachvollziehbar und ebenso wenig die Maßnahmen.
Warum wurde denn Marscherleichterung gegeben, wenn sicher war, dass Urlauber und Arbeitsmigranten die Ansteckungen wieder nach oben treiben würden? Was ist jetzt mit der App? Wann kommt die Ampel, warum, was wird sie können? Weshalb öffnen wir die Schulen bedingungslos, während wir uns im leeren Supermarkt mit Masken abschotten? Warum müssen wir zum 50-Jahr-Jubiläum von profil auf ein Festessen mit Bühne verzichten, während wir nur zum Essen eine Halle prall füllen dürften?

Erratisches Handeln bestimmt das Weltgeschehen. Die Welt ist zum Stillstand gekommen und bewegt sich doch viel zu schnell. Unsere Wahrnehmung ist so verzerrt wie die Steuerung des Geschehens. An den Hebeln sitzen Hilflose, Ahnungslose, auch Verantwortungslose. Wie lange kann das Schlechte noch gut gehen?

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Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.