Leitartikel

Christian Rainer: Dreikampf

Terror in Wien, Corona-Lockdown, US-Wahlen. Wo setzt man an, wo setzt man nach? (Und was wird mit dem Innenminister?)

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Islamistischer Terror in Wien, der zweite Lockdown in Österreich, der Showdown bei den Präsidentschaftswahlen in den USA. Jedes der Ereignisse einer einzigen Woche bringt Journalisten, Politiker, jeden Mitbürger, jede Mitbürgerin an die Grenze dessen, was intellektuell und emotional zu bewältigen ist. Was die Gesamtheit dieser Belastungen zusätzlich zu Monaten der Corona-Krise mit uns macht, ob wir uns aus dieser Zeit verschattet und traumatisiert oder aber geläutert und weiser herauswinden können, werden wir zu einem viel späteren Zeitpunkt feststellen. Menschen, die in Kriegen verfangen waren, die individuelle Schicksalsschläge ertragen mussten, mögen die Zumutungen des Jahres 2020 ohnehin als einen vergleichsweise harmlosen Hauch des Schicksals empfinden.

Lassen Sie uns die vergangene Woche Schritt für Schritt abarbeiten!

Am Tag nach dem Attentat in der Wiener Innenstadt schrieb ich für profil einen Kommentar mit dem Titel "Das ist kein Krieg". Was am Montagabend geschah, hatte - bei aller Anteilnahme mit Opfern, Angehörigen und vom Schock Gezeichneten - auch nicht die Gewalt eines Tsunamis oder die Folgen der Kernschmelze in einem Atomkraftwerk. Zu Ende der Woche ist das Leben in der Bundeshauptstadt wieder im Normalbetrieb (unter Corona-Bedingungen) angelangt. Es besteht auch keine Gefahr darin, dass "der islamistische Terror nun in Österreich angekommen ist", wie schnell pathetisch verlautbart wurde. Er war ohnehin schon da, wird sich aber nicht ungehindert verbreiten. Gefahr bestünde allenfalls, wenn der Terrorakt irrationale Angst hinterließe, die FPÖ die Emotionen weiter anheizen könnte und das Gesellschaftsgefüge auf diesem Weg weiter erodierte. Tage nach dem Attentat gibt es keine Hinweise auf eine derartige Entwicklung. Tage nach dem Attentat gibt es allerdings Hinweise auf ein gewaltiges innenpolitisches Thema, das uns länger begleiten wird als die Erinnerungen an jene Nacht. Dringender Verdacht: Die Bundesregierung muss für ihren schwersten Fehler seit Beginn der Legislaturperiode geradestehen. Eine unglaubliche Panne im Innenministerium hat die Tat erst möglich gemacht. Slowakische Behörden hatten den österreichischen Verfassungsschutz gewarnt, dass ein verurteilter Islamist, der spätere Täter, versucht hatte, Munition für eine automatische Langwaffe zu kaufen. Diese Warnung blieb im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, im Verantwortungsbereich des Innenministers, einfach liegen.

In vielen Ländern, in Deutschland zum Beispiel, würde der Minister zurücktreten. Stattdessen erleben wir seit Dienstag Schmierentheater. Das Skript: Die aktuelle Justizministerin, der ehemalige Innenminister, ein Gericht, ein Verein seien schuld am Tod der vier Opfer. Unter den Darstellern: auch der Bundeskanzler. Die Wahrheit: Das Innenministerium ist seit den Zeiten von Amtsinhaber Ernst Strasser ein Sauhaufen, ein Ort, an dem Parteipolitik, Intrigen und Inkompetenz herrschen.

Die Erinnerungen an den Terroranschlag sind verwoben mit der Corona-Krise; der Täter hatte den Vorabend des Lockdowns gewählt; kurzfristig verdrängte das relativ kleinere Thema das große. Gibt es Parallelen? Bedingt.

Es wäre verführerisch zu sagen: In beiden Fällen hat Schlamperei zur Katastrophe geführt. Denn ohne Zweifel ist die Republik schlecht auf die zweite Welle der Erkrankungen vorbereitet. Eine einheitliche Strategie fehlt. Es herrscht Uneinigkeit in der Regierung. Die ÖVP streitet intern. Die Wirtschaftslobbys wollen anderes als der Kanzler. Die Landeshauptleute sträuben sich gegen eine zentrale Ordnungsmacht. Während des Sommers wurde wenig vorbereitet. Kanzler und Gesundheitsminister hatten nicht erwartet, hatten nachgerade ausgeschlossen, dass man das Land ein zweites Mal herunterfahren müsse. Die uneinsichtige Bevölkerung zur Verantwortung zu ziehen, ist also falsch.

Andererseits: Die zweite Welle, der neuerlich notwendige Lockdown, hat fast alle europäischen Länder kalt erwischt. Aber noch einmal anders: Im Frühjahr ließ sich Österreich als Musterknabe feiern (trotz Ischgl); dieses Mal liegen wir viel schlechter als Deutschland.

Zuletzt die US-Wahlen: Wir wundern uns nach 2016 und nach vier Jahren Trump ein weiteres Mal, was alles (fast) möglich ist. Mehr gibt es dazu (und bei Redaktionsschluss) nicht zu sagen.

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.