Christian Rainer: Ein Dank an Rudolf Anschober
Rudolf Anschober ist einer der nettesten Politiker, denen ich in mehreren Jahrzehnten Journalismus begegnet bin. „Nett“ soll in diesem Zusammenhang ausschließlich positiv konnotiert verstanden werden und nicht als scheinheiliger Nachruf: immer ehrlich, inhaltlich kompetent, tagespolitisch versiert, mit gut bemessener Nähe und Distanz vernetzt. Im Normalbetrieb wäre er das Idealbild eines modernen Politikers – auch inhaltlich ein Zukunftsversprechen mit seinem bürgerlich anmutenden Auftreten in Kombination mit unser aller Lebensthema Klimakatastrophe.
Doch das vergangene Jahr brachte für keinen Gesundheitsminister weltweit auch nur einen Tag Normalbetrieb. Anschobers Kraft war aufgebraucht so wie die Kraft vieler seiner Kollegen, die über die Monate reihenweise ausgewechselt wurden. An diesem Dienstag ist er zurückgetreten. Erwartet wurde der Schritt seit einigen Wochen. Wer Anschobers Auftritt vor den Kameras verfolgte, konnte sehen: Die Zeit war gekommen – für ihn unvermeidbar und für die Steuerung des Landes notwendig.
Kein Normalfall
Normalfall ist dieser Rücktritt nicht, auch wenn er Vergleichbares in Erinnerung ruft: Spitzenpolitik ist generell ein undankbares Geschäft; und die Bundespolitik speziell bringt das Personal oft an den Rand des physischen Überlebens. Selten geht die Rechnung für die Betroffenen auf: Gestaltungswillen und Ausleben von Eitelkeiten auf der Ertragsseite, körperlicher und mentaler Raubbau sowie eine blockierte berufliche Zukunft bei den Kosten.
Auch nicht unüblich: das Leiden unter einem Freund-Feind-Schema. Da hat Anschober freilich nicht wie so oft die Missgunst der eigenen Partei zu spüren bekommen, sondern ausschließlich den Koalitionspartner. Bei seinem Abschied bedankte er sich ausdrücklich bei „meinem Freund“ Werner Kogler. Die Volkspartei und den Bundeskanzler hingegen ließ er außen vor – kein Dank, gar nichts. Das erlaubt einen tiefen Blick in das Beziehungsleben dieser Koalition. Anschobers Ankündigung, er würde jetzt nach vielen Sachbüchern gerne „einen politischen Roman“ schreiben, gespeist von den jüngsten Erfahrungen, klang wie eine mit letzter Kraft ausgesprochene Drohung.
Das Gesicht zur Pandemie
Mit dem Gesundheitsminister ist der Bevölkerung das Gesicht zur Pandemie abhanden gekommen und zugleich der neben dem Bundeskanzler wichtigste Manager des Massensterbens und der Massengesundung. Falls die Pandemie und deren Eindämmung durch Impfung und Behandlung den erwarteten Verlauf nimmt, wird dieser Job weiterhin kein Normalfall für ein Regierungsmitglied sein. Aber die Arbeit für den designierten Nachfolger Wolfgang Mückstein wird bei Weitem nicht vergleichbar sein mit der vielleicht schwierigsten Aufgabe, die ein österreichischer Minister innerhalb meiner Lebenszeit zu schultern hatte.
Daher bedanke ich mich, unüblich für einen Journalisten, aus vollem Herzen bei Rudolf Anschober und wünsche ihm Glück und Gesundheit.