Christian Rainer: Die Ohnmacht geht vom Volk aus

Christian Rainer: Die Ohnmacht geht vom Volk aus

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„Das Land wird sich weiterhin in den Prozess der Aktualisierung seines ökonomischen und sozialen Modells vertiefen, um einen gedeihlichen und nachhaltigen Sozialismus aufzubauen, in der Entwicklung des Landes voranzuschreiten und die Errungenschaften zu konsolidieren.“ – Erklärung der Revolutionären Regierung am 1. Juli 2015

Kein Zitat aus Athen, sondern aus Havanna. Passt trotzdem gut zu Griechenland.

Dort sei, so hört man, derzeit ja alles unübersichtlich und kompliziert. Was passiert, wenn was passiert? Was passiert, wenn nix passiert? Was will Alexis Tsipras eigentlich? Will Tsipras eigentlich was? Keiner weiß es. Oder doch? Schließlich sei „das internationale Geistesleben“ kollektiv „auf die Syriza-Seite“ übergelaufen, sodass man die Gegenmeinung „mit der Lupe suchen“ müsse, schreibt ein Kommentator in einer österreichischen Wochenzeitung. Was nicht wundern dürfe, weil jene andere Seite ja aus „rotzigen Pokerlausern“ bestehe – derselbe –, die ein „Machtdiktat“ ausübten – ein anderer Schreiber ebendort – gegen ein „Disaster (sic!) – der erste –, das Syriza nicht angerichtet“ habe.

Alles kompliziert? Aber nein. Mir scheint, die Causa Griechenland wird bloß dicht vernebelt und verdunkelt. Bei schlechter Sicht lassen sich Verschwörungstheorien gegen „die Macht der Banken“ besonders effektiv ausbreiten, gegen Deutschland und die Troika, gegen Angela Merkel und den „Obermaturanten“ Jeroen Dijsselbloem. Damit auch gegen Österreicher: Denn die Troika, das sind wir, und die Banken, das sind unsere Spareinlagen, und der Finanzsektor, das sind unsere Pensionen.

Eine erste Lehre: Das Böse herrscht immer und überall, auch beim österreichischen Mindestrentner. (Obwohl unser guter Kanzler doch eben noch Tsipras’ bester Freund gewesen ist.)

In Wahrheit ist alles recht einfach. Der Staat Griechenland hat über Jahrzehnte mehr Geld ausgegeben, als an Steuern eingenommen wurde. Entweder waren also die Steuern zu niedrig oder die Sozialausgaben und die Investitionen samt militärischer Aufrüstung waren zu teuer. Entweder die Griechen haben zu viel verdient oder der Staat hat ihnen zu viel geschenkt. Entweder alle haben vom Schuldenmachen profitiert oder nur manche. Danach haben die Griechen die EU belogen, sich mit diesen Lügen Sanktionen erspart und die Drachmenströme in den Euro-Kreislauf hineingeschwindelt. Jetzt kann Griechenland die fälligen Schulden bei den Geldgebern nicht zahlen, auch nicht den Verpflichtungen gegenüber dem eigenen Volk nachkommen. Damit ist das Land nicht im Konkurs, weil ja Vermögen da ist, aber zahlungsunfähig, weil Geld fehlt.

Zweite Lehre: Ein Referendum ändert an dieser Einnahmen- und Ausgabenrechnung gar nichts. Regierungen kommen und gehen, Schulden bleiben. Außer – Schuldenschnitt! – der österreichische Mindestrentner hat etwas zu verschenken – siehe oben!

Drittens, da wird es anspruchsvoller: Wer sind denn diese vielbesagten „Griechen“? Sind das Täter, weil sie gelogen, betrogen und über ihre Verhältnisse gelebt haben? Sind es die Opfer des internationalen Finanzkapitals und der Pastorentochter in Berlin? Sind das Millionen Menschen, für die das 60-Euro-Limit beim Bankomaten keine Rolle spielt, weil sie keinen 60-Euro-Dispokredit mehr haben? Oder ist das ein Klüngel von Reedern, Beamten und Politikern, die ihr Vermögen längst nach London, ihre Schiffchen ins Feuchte gebracht haben? Ist einerlei.

Griechenland ist eine Demokratie, und das – mit Unterbrechungen – schon recht lange. Da geht die Macht vom Volk aus. Die Griechen haben also einerseits profitiert, weil sie während Jahrzehnten über ihre Leistung und damit über ihre Verhältnisse lebten: Manche profitierten sehr, viele ein wenig, alle auf Pump bei lokalen und internationalen Geldgebern. Vor allem aber: Sie haben wieder und wieder Politiker ins Amt gewählt, die diesen Scam organisierten, die wiederum Beamte und Manager einsetzten, die den Lug und den Trug verwalteten.

Würde man den Griechen die Last dieser Verantwortung nun nehmen, würde man ihnen die Schulden streichen oder die Kredite auf den Sankt-Nimmerleins-Tag strecken, dann wäre das nicht nur unfair gegenüber dem österreichischen Mindestrentner. Es wäre vor allem undemokratisch. Repräsentative Demokratie – die gilt in guten wie in schlechten Zeiten, da kann sich der Wähler nicht davonschleichen, wenn die von ihm Gewählten Mist bauen. Die Griechen sind selber schuld. Die Ohnmacht geht vom Volk aus.