Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Kalter Putsch

Kalter Putsch

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Wer den Titel und Untertitel dieses Kommentars für überzogen hält, dem sei folgender Text entgegengehalten: Als Putsch wird gemeinhin ein von meist kleineren Gruppen durchgeführter Umsturz oder Umsturzversuch bezeichnet, mit dem Ziel, auf nicht verfassungsgemäßem Weg die Macht im Staat zu übernehmen oder zu erhalten. Das sei etwas ganz anderes als die Vorgänge rund um den parlamentarischen Untersuchungsausschuss in der vergangenen Woche, meinen Sie? Nicht unbedingt.

Diese Vorgänge lassen sich nämlich so darstellen: Eine Handvoll politischer Drahtzieher – Regierungsmitglieder, Klubobleute, einige Abgeordnete, die Parlamentspräsidentin – setzen eine der zentralen Bestimmungen der Bundesverfassung außer Kraft, nämlich die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative. Diese Vergewaltigung des österreichischen Grundgesetzes besteht diesfalls im „Abdrehen des Ausschusses“ (Zitat ÖVP-Altgrande Heinrich Neisser), der „das zentrale parlamentarische Element ist, um die Exekutive zu kontrollieren“ (ebenso Neisser). Konkret wurde unter anderem verhindert, dass Parlamentarier, also die Legislative, den Bundeskanzler, also die Spitze der Exekutive, vorladen und einvernehmen konnten. Ebenso wurden weitere Untersuchungen von Handlungen aktiver und ehemaliger Regierungsmitglieder durch den Ausschuss unterbunden.

Die definitionsgemäß bei einem Putsch vorausgesetzte widerrechtliche Machtergreifung oder -erhaltung? Sie besteht hier im Kalkül der Personen, die den Ausschuss abdrehen, um zusätzliche negative Auswirkungen auf die kommende Nationalratswahl durch weitere Aufdeckung und eine Prolongierung der Untersuchungen in den Wahlkampf hinein zu verhindern. Das ­erfüllt den Tatbestand einer Beeinflussung des Wählerwillens, der einer demokratischen Ordnung zuwiderläuft und eine undemokra­-
tische Machtergreifung oder -erhaltung begünstigt.

Heinz Mayer, der bekannteste österreichische Verfassungsrechtler, nennt den Vorgang einen „Skandal“. Sein nicht minder prominenter Kollege Theo Öhlinger verwendet das Wort ­„Farce“. Franz Fiedler, ehemaliger Rechnungshofpräsident und Präsident von Transparency International, spricht von „deutlicher Brutalität“. Das sind Meinungen von Autoritäten über politische und verfassungsrechtliche Sachverhalte, wie sie in dieser Form und Massivität in der jüngeren Geschichte nicht erinnerlich sind.

Der eben verfolgte Gedankengang erklärt auch, warum es gerechtfertigt ist, ja sogar notwendig, das Abwürgen des Ausschusses als einen der größten Skandale der Zweiten Republik zu bezeichnen: Die durchaus skandalträchtigen Erkenntnisse aus dem Ausschuss selbst mitsamt all dem, was nun nicht zutage kommen wird, sind ein Klacks im Vergleich dazu, wie sich die Politik an strukturellem Rechtsbestand vergriffen hat. Die inhaltlichen Vergehen stehen in keinem Verhältnis zu den formalen Übergriffen. Auf der einen Seite handelt es sich um Kleinkriminalität in großem Stil, auf der anderen um einen Generalangriff auf die Republik in kleinem Karo. Merke: Was sind schon im strafrechtlichen Sinne verdächtige ehemalige Minister und ein der unwahren Aussage überführter Bundeskanzler im Vergleich zur Außerkraftsetzung von parlamentarischen Rechten?

Eine Chuzpe ist es daher in diesem Fall zu behaupten, dass die Parlamentarier den Vorgang ja hätten verhindern können: Die Abgeordneten der Regierungsparteien exekutieren in einer Art Selbstausschaltung die Anweisungen der Putschisten; die grünen Abgeordneten wurden mit der Alternative eines sofortigen Ausschussendes erpresst.

Gleichfalls eine Frechheit ist es, wenn der Bundeskanzler behauptet, er stünde „ohnehin zur Verfügung“, aber die Abgeordneten – die er gemeinsam mit seinem Fraktionschef und seinem Staatssekretär an kurzer Leine führt – hätten anders entschieden.

Es ist zudem unappetitlich, dass der Ausschuss in seinen letzten Tagen nun von einem deutschnationalen Burschenschafter geführt wird.

Eine freche Verhöhnung des Amtes, das ihr von den Abgeordneten anvertraut wurde, ist es schließlich, dass die Parlamentspräsidentin angesichts dieser Vorgänge von „lebendigem Parlamentarismus“ spricht, ein Zynismus, den wir Barbara Prammer nicht vergessen werden, sollte sie das Amt der Bundespräsidentin anstreben.

Was noch zu sagen bleibt: Die einzige Partei, die sich in diesen Tagen anständig verhalten hat, sind die Grünen. Das sollte bei den kommenden Nationalratswahlen auch niemand vergessen, egal aus welchem weltanschaulichen Umfeld er oder sie kommt, solange es ein anständiges ist.

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