Christian Rainer: Kurzfassung
Wem ist das Schlamassel geschuldet, das die Republik seit vergangener Woche in Atem hält? Ohne Zweifel Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus. In jenem auf Ibiza gedrehten Video demonstrieren sie, was ihnen und der Freiheitlichen Partei innewohnt. Man weiß ja gar nicht, wo anfangen: russisches Oligarchengeld, um Zeitungen zu übernehmen und zu manipulieren; im Gegenzug öffentliche Aufträge zu überhöhten Preisen; Ausradieren der österreichischen Medien in Orbán-Manier; „alle Journalisten sind Huren“; niederträchtige Gerüchte über Kurz, Kern und andere; Parteispenden an die FPÖ über gemeinnützige Vereine als Gegenleistung für Steuererleichterungen; Sexismus à la Pussy-Grabbing. Da musste die Koalition beendet werden.
Aber falls das eine Falle war, die von sinistren Mächten aufgestellt wurde? Entlang dieser Front läuft der Gegenangriff der FPÖ. Bei der Beurteilung, ob die FPÖ, ob Strache und Gudenus etwas in einer Regierung zu suchen haben, spielt das keine Rolle. Auch wenn Kim Jong-un in Tateinheit mit Papst Franziskus dieses Video angefertigt hat und dabei gegen die nordkoreanische Verfassung und alle Zehn Gebote verstoßen wurde, ändert das nichts am Inhalt der Aufzeichnung und damit am abgründigen Charakter der Protagonisten.
Versündigen sich Journalisten nicht, wenn sie vermutlich illegal beschafftes, sicher aber heimlich gefilmtes Material verwenden? Nein. Rechtlich ist das unstrittig. Und das öffentliche Interesse überwiegt auch gegen alle ethischen Überlegungen. Oder sollten „SZ“, „Spiegel“ und wir jene Pläne und Fantasien von Vizekanzler und Klubobmann geheim halten, auf dass sie eines nahen Tages umgesetzt werden?
Wie sieht das der Kanzler? Er hat in seiner ersten Stellungnahme ein wenig zu schnell darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, die Hintermänner zu finden. Damit stellt er subtil auch die Journalisten in ein schiefes Licht. Der Bundespräsident tat inzwischen mehrfach das Gegenteil und betonte die Wichtigkeit der „vierten Macht im Staat“.
Warum gleich die Koalition aufkündigen, wo es doch nur um Strache und Gudenus geht? Angeblich hat das Sebastian Kurz auch erwogen, und er hätte ohne Kickl weiterregiert – mit einer durch und durch von Strache geprägten Bewegung, dem Parteiobmann, der den Koalitionspakt ausverhandelt hat: Das geht nicht.
Trägt der Kanzler eine Art höherer Verantwortung für den Skandal? So wird jetzt flächendeckend argumentiert. Schließlich habe er diese Koalition unbedingt gewollt. Ich halte das für Unsinn, weil in sich nicht konsistent: 2017 war Kurz der Wahlsieger, und es stand ihm in Christian Kern kein geeigneter oder auch nur williger Koalitionspartner zur Verfügung. Richtig ist freilich, dass Kurz ohnehin nicht mit der SPÖ regieren wollte. Richtig ist aber auch, dass Kern auf Basis eines fadenscheinigen Kriterienkatalogs vielleicht auch mit den Freiheitlichen zusammengearbeitet hätte.
Aber Kurz hatte ja schon davor ohne Not die Große Koalition gesprengt. Das ist ein stichhaltiges Argument. Er hätte zumindest die Restlaufzeit der Legislaturperiode abwarten können. Allerdings wäre Österreich (und er) dann Gefahr gelaufen, dass jene FPÖ doch noch Nummer eins würde.
Kurz hat also alles richtig gemacht? Ganz weit gefehlt. Er hat es nicht verstanden, nicht gewollt, den Koalitionspartner auf Distanz zu halten, hat die FPÖ als eine Partei wie jede andere präsentiert, hat bei den berüchtigten Einzelfällen spät eingegriffen, hat in der Ausländerpolitik von Beginn an und zuletzt gegenüber der EU selbst FPÖ-Gehabe angenommen. Seine Koalition mit der FPÖ war also unausweichlich, die Spaltung des Landes und die Polarisierung der Gesellschaft aber nicht.
Würde Kurz wieder mit der FPÖ koalieren? Aber sicher. Er wird die Wahl im Herbst wohl wieder und wohl gestärkt gewinnen. Wenn sich eine Mehrheit mit NEOS und Grünen nicht ausgeht, ist die FPÖ eine Option. Er würde sie als eine „nach dem Abgang von Strache und ohne Kickl in der Regierung ganz andere Partei“ schönreden.
Und wo ist die SPÖ? Schwer zu sagen. Ich warte wie andere Kollegen seit dem vorvergangenen Freitag, 18:00 Uhr, auf einen Rückruf von Pamela Rendi-Wagner. Kurz rief nach fünf Minuten zurück (gab allerdings nicht dem Boulevard-Blatt profil ein Interview, sondern zunächst den Qualitätsmedien „Bild“ und „Österreich“).
Soll die SPÖ den Misstrauensantrag gegen Kurz unterstützen? Bis zuletzt liefen die Meinungen auseinander, ob ein derartiges Manöver für die SPÖ Sinn ergibt. Für die Stabilität und das Fortkommen des Landes ist es jedenfalls schnurzegal, ob Sebastian Kurz oder eine Expertenregierung das Land über den Sommer bringt.
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