Christian Rainer: Reale Werte
Die Budgetrede eines Finanzministers ist die in Zahlen gegossene Regierungserklärung. In diesem Sinne war Hartwig Lögers Auftritt in der vergangenen Woche mehr Flickwerk als ein kohärentes Ganzes. Vom grell zur Schau gestellten – in Geld gewichtet aber unerheblichen – Ausländerthema abgesehen ist das Doppelbudget für 2018 und 2019 weitgehend frei von Ideologie. Wir können darin nicht die große Geschichte finden, die uns Kurz und Strache erzählen wollen, keinen Überbau und kein Fundament, keine Kraftlinien, die uns bedeuten, wie Österreich, Europa, die Welt am Ende dieser Legislaturperiode und am Ende aller Tage aussehen sollen.
Doch wir können uns mit dem Gebotenen vorerst zufrieden zeigen. Wenn schon keine Wertehaltung, so eint die vielen Seiten des Haushaltsplanes immerhin der große Gedanke des Sparens und daraus resultierend des Zurückzahlens von Krediten statt weiterer Verschuldung. Möglicherweise entspricht dieses Wenig und dennoch Viel an Ideologie ja sogar dem Gesellschaftsbild des Bundeskanzlers, das sich bisher vor allem in seinem Vertrauen auf die Familie als Zentrum allen Seins darstellt: ein Haushalt eben, der in der Balance von Einkommen und Ausgaben sein Auskommen finden muss.
Das war etwas ironisch dahingeschrieben und auch so gemeint, denn die Erwartungshaltung an ein Wunderkind ist, dass es mehr als nur Noten, Buchstaben, Zahlen aufschreiben kann, dass es mit seiner Musik, seinen Texten, seinen Formeln mitreißen kann. Aber wer auf mehrere Jahrzehnte Journalismus in Innenpolitik und Wirtschaft zurückblickt, kann abseits der Hoffnung auf ein politisches Evangelium feststellen, dass sich in genau diesen Bereichen sehr viel zum Besseren gewendet hat.
Das Primat eines Nulldefizits ist da eine durchaus gute Chiffre.
„Innenpolitik und Wirtschaft“ – schon bei diesen Worten keimt die Erinnerung auf, wie anders alles einmal gewesen ist. Bis in die 1990er-Jahre waren Politik und Ökonomie nämlich so dicht verbunden, dass sie als siamesische Zwillinge, wenn nicht sogar in einem Wesen, durch den Staat stapften. Auf der betriebswirtschaftlichen Ebene zeigte sich diese Einheit darin, dass die Republik eine Unzahl von großen und kleinen Unternehmen besaß.
Dieses allgegenwärtige staatliche Eigentum war unterfüttert mit dem unerschütterlichen Glauben einiger roter Bundeskanzler, aber auch schwarzer Landesfürsten, diese sogenannte Gemeinwirtschaft sei einerseits notwendig, um die Funktionsfähigkeit des Landes, die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten. Andererseits galt auch die Doktrin, die Staatsunternehmen könnten genauso effizient wirtschaften wie die Privaten. Wie falsch diese Annahmen waren, sieht man daran, dass Telefongespräche, Flüge, Bankkonten, Edelstahl derzeit nicht unbedingt fehleranfällige Mangelware sind, dass Brot, Butter und Benzin auch abseits staatlicher Preisfestlegung leistbar blieben. Und man sieht’s daran, dass die einschlägigen Unternehmen furchtbar pleitegingen oder so nicht lebensfähig waren: VÖEST, AMAG, Steyr, Post- und Telegraphenverwaltung, Länderbank, Bawag, AUA.
Für einen Bürger im Jahr 2018 sind die damaligen Verhältnisse nicht vorstellbar. Die volkswirtschaftliche Ebene war erst recht mit Ideologie zugefrachtet: Da wurde ungehemmtes Schuldenmachen in guten wie in schlechten Konjunkturzyklen als keynesianisches Deficit Spending verkauft. Da verordneten Gewerkschaften, gestützt auf planwirtschaftliche Rechnungen, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, damit das Arbeitsangebot besser verteilt und so die Arbeitslosigkeit sinken würde. Erst die Europäische Union und internationale Konkurrenz bereiteten jener Form von Nationalökonomie ein Ende.
Angesichts dieser Erinnerungsfülle geraten Hartwig Lögers Vorhaben zur Vergangenheitsbewältigung.
Für die Opposition in Gestalt der Sozialdemokratie ist die Luft freilich dünn geworden: Verstaatlichte Industrie und das blinde Schuldenmachen als Konjunkturmotor gehen auf ihre Kappe. Für eine neue Vision von Wirtschaftspolitik, für eine Alternative zum denkbar trockenen Postulat des Nulldefizits bleibt der SPÖ wenig Spielraum. Die Stadt Wien, wo noch heute planwirtschaftliche Verhältnisse wie in den 1980er- und 1990er-Jahren herrschen, ist nicht unbedingt richtungsweisend.
Vielleicht kann ja ein energetischer Schutzring rund um die SP-Zentrale in der Löwelstraße helfen.