Christian Rainer: Medien-Onkäte
Am Donnerstag und Freitag dieser Woche findet die mit einiger Spannung erwartete Medien-Enquete statt, eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung auf Einladung des Bundeskanzleramtes. Das Programm ist weitgehend vorgegeben, Angelpunkte sind öffentlich-rechtlicher Auftrag, Standort, Digitalisierung, Demokratie. Wer immer in der Zivilgesellschaft auch nur die vage Vermutung hegt, dass die vierte Gewalt im Staat tatsächlich existiert und dass die vierte Säule der Demokratie nicht nur der Dekoration des Staatswesens dient, der sollte hellhörig sein.
Soweit sie nicht von Partikularinteressen getrieben sind, kann man die Überlegungen vor dieser Veranstaltung unter anderem in diesen Fragen zusammenfassen: Meint die Regierung das überhaupt ernst? Und was soll mit dem ORF geschehen? Dass die Worte „Standort“ und „Digitalisierung“ bereits hier fehlen, ist beabsichtigt: Der Verdacht liegt nahe, dass diese Regierung – nicht anders als alle davor – primär den subjektiven politischen Nutzen im Auge hat, den sie aus der Tätigkeit von Medien ziehen kann – und sich daraus erst sekundär Konsequenzen für den Standort und die Digitalisierung ergeben können.
Was unmittelbar zurückführt zu der Frage, ob diese Enquete nichts als eine potemkinsche Fassade ist und Kanzler sowie Medienminister sich einen Dreck darum scheren, was die Beteiligten und Betroffenen da von sich geben werden. Dieser Verdacht wird genährt durch die Erfahrungen der Vergangenheit, als Medienpolitik ausschließlich in zwei Gestalten auftrat: erstens in der Vergabe von Pfründen durch öffentliche Inserate und Förderungen, zweitens als Eroberung und Rückeroberung der Macht im ORF.
Die Einwurstung der Medienpolitik auf die Machtfrage im ORF ist dieses Mal besonders bedauerlich.
Folgerichtig konkretisiert sich die Frage nach dem Gewicht der Veranstaltung dieses Mal im Schicksal des ORF-Generaldirektors: Wird die Regierung die Findungen der Enquete abwägen – und sich vorerst damit zufrieden geben, dass der SPÖ-geprägte Alexander Wrabetz zwei Fernsehmanager und zwei Fernsehchefredakteure installiert hat, die nicht im Verdacht stehen, diese Prägung erfahren zu haben? Oder bastelt die Regierung längst an einem Gesetz, das Wrabetz vorzeitig aushebeln kann? Er selbst gab in einem „News”-Interview unumwunden zu Protokoll, dass er mit dem Schlimmsten rechnet: „Ich gehe davon aus, dass schon eifrig getextet und geschrieben wird und dass das allerspätestens 2019 kommt.“ Wie sehr jene Veranstaltung allerorts als ein ORF-Scherbengericht verstanden wird, drückt sich auch in einem Text von David Schalko für „Die Zeit“ aus: Der Autor und Filmemacher übertitelte seinen Beitrag rührend mit „Hände weg vom ORF!“.
Die Einwurstung der Medienpolitik auf die Machtfrage im ORF ist dieses Mal besonders bedauerlich, da sich die sogenannten Rahmenbedingungen inzwischen zu Existenzbedingungen gewandelt haben. Bei der Diskussion über den ORF geht es 2018 auch um das Überleben aller anderen Medien journalistischer Herkunft, zunächst der Printmedien, in der Folge wohl auch des privaten Rundfunks. In der Vergangenheit war eine leidlich friedliche Koexistenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien möglich, nun nicht mehr. Werbegeld diffundiert in großer Dichte in den digitalen Kosmos zu Google und Facebook, zugleich befriedigen digitale Medien vermehrt – meist gratis und nicht journalistischer Herkunft – das Informations- und Unterhaltungsbedürfnis der Menschheit.
Ein frommer Wunsch, Enquete hin, Enquete her: Wir sollten nicht über Wrabetz sprechen oder über ein paar Brösel Presseförderung.
Unter diesen neuen Bedingungen wird die Wettbewerbsverzerrung, die das Geschäftsmodell des ORF darstellt, für alle anderen zum Nervengift: Der Umsatz des ORF betrug 2017 993,6 Millionen Euro, 624,8 Millionen davon steuerten die Österreicher zwangsweise als Gebühren bei, ob sie nun ORF konsumieren oder nicht. Den Zuschuss von zwei Drittel zum Umsatz müssen alle anderen Medien auf dem freien Markt erwirtschaften. Unter den neuen Gegebenheiten ist das unmöglich, das Wort Wettbewerbsverzerrung nur mehr ein Hohn.
Von Verteidigern des öffentlich-rechtlichen Systems ist an dieser Stelle zu hören: Dann sollte im Sinne des größeren Ganzen zumindest das Überleben des ORF gesichert werden. Dieser Appell verlangte nicht nur suizidales Verhalten, er verhallt überdies, wenn man jenes „größere Ganze“ hinterfragt – nämlich den Beitrag zum Gemeinwesen im Sinne des öffentlich-rechtlichen Auftrages. Denn hier wendet sich die Argumentation der Öffentlich-Rechtlichen gegen die Öffentlich-Rechtlichen: Der ORF widmet einen kleinen Teil seiner Sendezeit und seines Budgets diesen Aufgaben. Die Inhalte von profil zum Beispiel sind hingegen vom ersten bis zum letzten Buchstaben öffentlichrechtlich, bei Medien wie „Presse“, „Standard“, „Kurier“, den Regionalzeitungen ist das ähnlich.
Ein frommer Wunsch, Enquete hin, Enquete her: Wir sollten nicht über Wrabetz sprechen oder über ein paar Brösel Presseförderung. Sondern über die Neuaufteilung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben – und damit über 624,8 Millionen.
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