Christian Rainer: Niemals vergessen
Das Bouquet von Präsidentschaftskandidaten ist also fast fertig gebunden. Die FPÖ muss noch nominieren. Zeit zu räsonieren. Wer wird gewinnen? Darauf fokussierten die Plaudereien in den vergangenen Tagen: nachdem Erwin Pröll abgesagt hatte, seit Andreas Khol ersatzweise nominiert wurde und da Rudolf Hundstorfer ja längst als sichere Bank der Sozialdemokraten gegolten hatte. Das ist eine naheliegende Frage, aber die Antwort ist unmöglich, und es traut sich auch niemand, eine zu formulieren. „Italienische Verhältnisse“, meinte der steirische Landeshauptmann beim Steirerball in Wien zynisch, zielte damit wohl auf die Zersplitterung des Spektrums, nicht auf die Respektabilität der Personen.
Also erstens viele Kandidaten. Zweitens kann keiner sagen, ob das eher eine Persönlichkeitswahl wird oder doch eine vom Lagerdenken geprägte. Falls es um die Persönlichkeiten geht: Da weiß niemand – drittens –, wie die allesamt wahlkampfunerprobten Herren und die Dame sich auf der Straße und in den Medien schlagen werden. Viertens sind die Umfrageergebnisse aktuell ganz verrückt, da läge Alexander Van der Bellen weit vorne, aber das entspricht eher einer Sympathiekundgebung denn einer Vorentscheidung der Bürger. Schließlich noch fünftens, und da wird das Kalkulieren endgültig sinnlos: Es wird mangels absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang ziemlich sicher einen zweiten geben. Wer da wen unterstützt und inwieweit das entscheidend ist, steht in den Sternen.
Sternestochern darf sein: Ich halte Hundstorfer entgegen allen Umfragen für den leichten Favoriten, wetten würde ich aber nicht darauf, bei keiner Quote.
Gerade weil das von der Verfassung für den Bundespräsidenten bereitgestellte Werkzeug zum Regieren ungeeignet ist, kommt es auf die Person an, auf den Auftritt, die Worte, vor allem auf den Charakter.
Aber wer soll gewinnen? Vielleicht werden Sie dazu in den kommenden Monaten hier etwas lesen. Dagegen muss man nicht einwenden, dass Medien keine Wahlempfehlungen abgeben sollen. Warum denn nicht (und nicht nur nicht nicht, weil Zeitungen wie die „New York Times“ das regelmäßig tun)? Einwerfen könnte man eher: Beim Bundespräsidenten zahlt sich eine Empfehlung doch gar nicht aus. Kein Portfolio, daher keine Bedeutung? Das sehe ich anders. Zwölf Jahre kontinuierlich, das ist eine lange Zeit. Thomas Klestils Mienenspiel bei der Angelobung der schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000 ist Teil des kollektiven Gedächtnisses dieser Nation geworden. Auch das „Trockenlegen der Sümpfe und sauren Wiesen“ aus dem Mund von Rudolf Kirchschläger hat eine Generation geprägt. Von Kurt Waldheim als Wendepunkt in der österreichischen Nachkriegsgeschichte ganz zu schweigen.
Offensichtlich also: Gerade weil das von der Verfassung für den Bundespräsidenten bereitgestellte Werkzeug zum Regieren ungeeignet ist, kommt es auf die Person an, auf den Auftritt, die Worte, vor allem auf den Charakter. Womit wir wieder bei den Kandidaten sind.
Was fiel uns da in der ersten Woche auf? Zu früh für Hundstorfer. Van der Bellen war da und Khol omnipräsent. Wir sahen, lasen und hörten also über zwei ältere Männer. Irgendjemand behauptete, das könne gar nicht anders sein, jung gehe nicht, denn nach diesem Amt gebe es ja keine weiteren Möglichkeiten. Das ist freilich Unsinn. Warum denn nicht?
Das Alter der Kandidaten hat auch einen Vorteil: Wir können ihre Lebensleistung gewichten, vorrechnen, was auf ihrem Lebenskonto steht beim Soll und beim Haben.
Aber nichts gegen das Alter. Wenn der Papst ein Greis sein darf, dann sicher auch unser Staatsoberhaupt. Körperliche Höchstleistung ist nicht gefordert (wiewohl Heinz Fischer da viele der Jungen schlägt), und Demenz setzt meist später ein.
Das Alter der Kandidaten hat auch einen Vorteil: Wir können ihre Lebensleistung gewichten, vorrechnen, was auf ihrem Lebenskonto steht beim Soll und beim Haben. Da passt es dann wieder, dass wir den Charakter im Mittelpunkt sehen, denn der misst sich nicht an Managemententscheidungen.
Van der Bellen hat ein wohltestiertes Konto. Aber wie ist das bei Khol? Ausgerechnet Khol. Viele Funktionen. Scharfe Zunge, bisweilen gespalten. Lieber einen Freund verlieren als einen guten Gag auslassen. Wolfgang Schüssels Mann fürs Grobe, Schüssels Freiheitlichenversteher. Kein Wunder also: Nach den ersten Tagen hallt nach, dass der Mann auf jeden Vorhalt repliziert, wie wandlungsfähig er gewesen sei. Er habe eben ständig „dazugelernt“, so Khol bei Armin Wolf. „Ich habe Wasser in meinen Essig gegossen“, so gegenüber der „Presse“. Das mag sympathisch klingen oder auch nicht – wandlungsfähig oder biegsam eben. Mir fällt angesichts der langen Vita dieses und der anderen Kandidaten jedenfalls ein: „Niemals vergessen!“