Christian Rainer: Opposition buffa

Österreich – die einzige Demokratie westlichen Zuschnitts ohne parlamentarischen Widerstand.

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Während auf dem Tischlein, das den Gast bei Bildungsminister Heinz Faßmann empfängt, zuoberst „Österreich“ und die „Kronen Zeitung“ liegen; während Kunstminister Gernot Blümel seine Instagram-Story zur Eröffnungsrede einer Schiele-Ausstellung mit „In meinen Augen war Egon Schiele einer der wichtigsten Künstler der Wiener Moderne“ betitelt; während „NewsweekSebastian Kurz mit der Zeile „Austria Rising“ und dem Hitlerjungen-Zitat „Tomorrow belongs to me“ aus dem Film „Cabaret“ auf den Cover hebt; während sich also die Welt vor der Größe dieser Regierung fürchtet und ich mich vor deren Kleinheit, währenddessen wollen wir uns in diesem Text um die Opposition im Land kümmern.

Dazu gibt es Anlass, und dieser Anlass besteht darin, dass diese Opposition uns keinen Anlass gibt, sich um sie zu kümmern. Österreich ist die einzige Demokratie westlichen Zuschnitts, die bei voll funktionsfähigem Parlamentarismus keinen politischen Widerstand kennt.

Das ist Zufall und dann auch wieder nicht. Und es gilt mit einer kleinen Einschränkung: Die NEOS haben zwar ihren Obguru gegen eine Obfrau getauscht. Aber die macht ihre Sache gut in einem von miefenden Machos teilunterwanderten Parlament. Sie hat in ihren Reihen überdies Perlen. Whatever: Auch wer die NEOS nicht mag, muss sie mögen, da sie die einzige Opposition sind im Mehrparteiensystem.

Dieses System ist bekanntlich der Grünen verlustig gegangen. Die haben sich selbst zerstört, weil sie keine autochthonen Inhalte hatten und keine authentischen Menschen. Frage: Wer ist derzeit der Chef der Grünen? Ich muss googeln. Es ist Werner Kogler. In seinem Wikipedia-Eintrag weist er sich mit einem 2006 aufgenommenen Foto aus. Der längste Abschnitt des Eintrags beschäftigt sich mit seiner Filibuster-Rede anno 2010. Aha. Und in Wien, in der Hochburg des Bobo-Grüntums (wie der Wechsel der ehemaligen Bundesprecherin Eva Glawischnig, einer Kärntnerin, zu Novomatic beweist): Dead Woman Walking Vassilakou. Mit drei namentlich unerheblichen NachfolgekandidatInnen. Anmerkung: Die Grünen im erzkonservativen Bayern haben vor einer Woche 18 Prozent und den zweiten Platz erreicht. Im Deutschen Bundestag sind es neun Prozent.

Pilz, Liste Pilz. Der Namensspender hat seine ehemalige Partei aus höchstpersönlichem Motiv gespalten und so Beihilfe zum Selbstmord der und zum Mord an den Grünen geleistet. Selbst ist er ein Untoter, laut Selbstbezeichnung „einer dieser alten, mächtigen Männer“, die nicht zwischen Flirt und fläzender Flegelei unterscheiden wollen.

Vielleicht wäre Kern als Sieger ein Sieger geworden, als Verlierer war er die Karikatur eines Verlierers.

Absatz. Denn nun geht es ans Eingemachte. Rote Grütze. What happened? Zweierlei.

Erstens: Das Personal ist einerlei. profil hatte Christian Kern und Sebastian Kurz – wert-, aber nicht wertungsfrei – als „zwei der besten Politiker Europas“ bezeichnet. Dafür wurden wir rundum kritisiert: „Newsweek“-Kurz hätte laut unseren Kritikern nicht das Zeug, dieser Bezeichnung zu genügen. Ich hingegen kritisiere mich nun dafür, dass ich bei Kern so falsch gelegen war. Vielleicht wäre er als Sieger ein Sieger geworden, als Verlierer war er die Karikatur eines Verlierers.

Vielleicht kann Pamela Rendi-Wagner es besser. Wir wissen es nicht.

In Wien wird gewählt. Die Wiener SPÖ wird keine Rücksicht auf Rendi-Wagner nehmen, so wie der Kärntner Landeshauptmann nur Rücksicht auf Kärnten (und seinen Sohn) nimmt. Egoismus kommt vor dem Knall. Wie heißen die SP-Chefs in Niederösterreich (weiß ich), Steiermark (ich weiß, wie er aussieht), Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg? Wir müssen schon wieder googeln.

Zweitens: Die Message ist unkontrolliert, und sie ist Einheitsbrei. Das Ausländerthema war für die SPÖ früh verloren. Die FPÖ hatte es in der Opposition seit Haider auf Verhetzungsmodus gesetzt. Die Volkspartei hatte es zur Chefsache gemacht und den Chef der Sache so zum Bundeskanzler.

Wofür steht die Sozialdemokratie? Das können wir nicht einmal googeln.

Wofür könnte sie stehen? Für Gerechtigkeit natürlich. Sie kann die Menschen bei ihren irrationalen Ängsten vor dem Verlust des Erreichten abholen (siehe Titelgeschichte). Und auch rational bei den realen Verhältnissen: Chancengleichheit im österreichischen Bildungswesen ist eine Chimäre geblieben. Bei der Gesundheitsversorgung kommt die Zweiklassenmedizin, soweit sie sich nicht längst etabliert hat. Die Einkommen entwickeln sich auseinander, die Vermögensverhältnisse ebenso. Vorerst reagieren die Menschen jedoch auf emotionale Befindlichkeiten (aufs Ernstgenommenwerden, auf das Koalitionsklima, auf den gefühlten Ausländer – siehe nochmals Titelgeschichte) und nicht auf reales Befinden.

Solange Österreich keine Opposition hat, wird sich das nicht ändern.

[email protected] Twitter: @chr_rai