Christian Rainer: Wenn wir Opposition wären
In der vergangenen Woche schrieb ich an dieser Stelle, die Stimmung im Lande wende sich entgegen dem Schein der Umfragen und trotz (oder wegen) der hervorragenden Corona-Performance gegen die Regierung. „Die Rache des Replikationsfaktors“ hieß der Text – samt dem von mir zum wiederholten Male bemühten Paradoxon, dass die geringe Zahl von Erkrankten und Toten zu dem irrwitzigen Schluss führt, die Maßnahmen seien überzogen gewesen, der Shutdown unnötig.
Persönlich fürchte ich, die Lockerungen kommen – ganz im Gegenteil – gefährlich schnell. Ich halte die Öffnung der Schulen für unnötig und der Angst vor rebellierenden Eltern geschuldet. Mit weiterem Fernunterricht wäre kaum ökonomischer Schaden entstanden. Man hätte vielmehr ein Vorziehen der Sommerferien und des nächsten Schuljahres erwägen sollen. Und tollkühn erscheint mir die Konzession an Salzburg & Co., Veranstaltungen von 100, 500 und gar 1000 Menschen zu gestatten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Diese Geschichte ist: Was müsste die Opposition tun, um der Regierung etwas entgegenzusetzen? Der Sinn einer solchen Überlegung geht über parteipolitisches Kalkül (nicht mein Geschäft) hinaus: Auf Dauer ist die Dominanz von Volkspartei und Grünen, wie wir sie derzeit erleben, der Demokratie nicht zuträglich. Es fehlt der intelligente Diskurs, und es fehlen Machtpositionen, um – auch abseits der roten Festung Wien – alternative Wege einzuschlagen.
Also: Über Wochen und schon vor Corona hatten die NEOS das Monopol auf die Widerrede im Parlament, während sich SPÖ und FPÖ die Zeit mit masochistischen Autoerotikspielen vertrieben. Eine undankbare Aufgabe: Die pragmatisch-liberale Gesinnung der NEOS passt nicht zu einer Oppositionspolitik, die nur im fahrlässigen Umgang mit Fakten und in brachialer Übertreibung eine Chance sehen kann, der Volkspartei am Zeug zu flicken. Und eine undankbare Positionierung: Woher sollen die NEOS denn Zulauf bekommen, wenn Bobostan und die bürgerliche Mitte die Regierungsparteien wählen?
Dass ich als Nächstes die Grünen nenne, erscheint zunächst widersinnig, da die Partei offiziell Teil der Koalition ist – aber im Sinne eines Gegengewichtes zur Volkspartei eben nicht: Vom ersten Tag an, auch ohne erdrückende Virus-Last, waren die Grünen Passagiere des Regierungszuges gewesen. Man hörte sie als schwachen Widerhall der türkisen Maschine, oder sie brachten Blutopfer auf dem Koalitionsaltar.
Selbstverständlich werden die Freiheitlichen vom ökonomischen Niedergang des Landes profitieren, mangels Sozialdemokratie als die einzigen Krisengewinner.
Höhepunkt: die Zustimmung zur Nichtzustimmung zum UN-Migrationspakt. Woran liegt es? Anfangs daran, dass die Grünen ohne Personal wieder ins Parlament und neu in die Regierung gekommen waren – und dort auf jene perfekt schnurrende und stampfende Lokomotive trafen. Teil zwei hat sich nicht geändert. Gegenstrategie? Die Grünen können nicht dort besser sein, wo Sebastian Kurz perfekt ist. Aber sie können, was Kurz gar nicht kann: öffentlich reflektieren und debattieren, nachdenklich sein, Fehlerkultur zelebrieren.
Einschub: Auf meine letztwöchentliche „Vision“, unter Rot-Grün wäre Corona von „hilfloser Inkompetenz mit hohen Todesraten“ gezeichnet gewesen, habe ich unfreundliche Reaktionen bekommen. Zugegeben: Das war eine Zuspitzung. Und dennoch: Eine intern zerstrittene Partei, ideologisch planlos und im Weltbild zerrüttet, gemeinsam mit den Grünen ohne Regierungserfahrung, hätte das Land runter- und wieder rauffahren sollen? Lieber nicht. Ende des Einschubs. Wie also ginge Opposition? Einigkeit hinter der inzwischen politikerfahrenen, jedenfalls aber kampferprobten Parteichefin. Bannstrahl auf all die frechen Machos in den Ländern und sonst wo. Und: Definiert endlich in drei Sätzen, wofür ihr steht! Wenn ihr euch nicht sputet, nimmt euch Kurz auch noch die Themen Solidarität und Sozialstaat ab. Sebastian Marx grüßt. Was für euch spricht: Arbeitslosigkeit und Rezession bestrafen die Regierenden, diesfalls unverschuldet.
Und sie begünstigen die Populisten, die Extremisten, die populistischen Extremisten. Also die FPÖ. Selbstverständlich werden die Freiheitlichen vom ökonomischen Niedergang des Landes profitieren, mangels Sozialdemokratie als die einzigen Krisengewinner. Die Gemengelage von grantiger Unzufriedenheit, echter Not, wiederaufflammendem Fremdenhass auf der einen Seite und skrupellosen Politikern auf der anderen wird schwerer wiegen als die Erinnerung an Ibiza und der parteiinterne Streit. Mit oder ohne Strache – eher mit: Am Ende wird die FPÖ wieder 20 Prozent bekommen. Und mehr.
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