Christian Rainer: Petrol ist nicht Schwarz-Blau
Vorneweg: Natürlich ist Türkis-Blau nun nicht die einzig mögliche Regierungsform für Österreich. Würde sich Christian Kern unterwerfen und mit ihm die SPÖ oder würde sich die SPÖ unterwerfen und mit ihr Christian Kern oder machte Christian Kern Platz für Hans Peter Doskozil, dann wäre eine türkis-rote Koalition denkbar. Ich weiß, dass diese Variante surreal erscheint, weil Politik anders funktioniert, auf permanenter Machtarrondierung basiert, von Taktik geprägt ist und von persönlichen Befindlichkeiten. Aber zumindest: Man komme mir jetzt nicht mit diesem apodiktischen „unmöglich“, diesem unreflektierten „die einzige Lösung“! Seien wir uns ehrlich – man sei wenigstens ehrlich!
Ich habe Christian Kern im Mai 2015 bei einer Gedenkfeier für ermordete KZ-Häftlinge in Attnang-Puchheim kennengelernt. Seine Rede, seine Haltung waren beeindruckend. Damals dachte ich mir, so einer – dieser – müsste Bundeskanzler sein. Wenn also in der FPÖ „eine Mischung aus Antisemitismus und Verfolgungswahn“ Platz hat (Kern), wenn es ihr „nicht gelingt, sich von Ewiggestrigen zu trennen“ (Doskozil), wenn dort „die Kräfte der Finsternis“ herrschen (Kern), dann sollte sich die Sozialdemokratie für Österreich opfern, sie sollte jedwede Bedingungen der Volkspartei akzeptieren und mitregieren. Keine Angst – Kanzler Sebastian Kurz und eine sich selbstunterwerfende SPÖ, das würde dem Wunsch der Wähler nach Wechsel und Wandel, dem „Willen zur Veränderung“ (Alexander Van der Bellen) schon Genüge tun.
Ja, unrealistisch, blauäugig. Aber nicht, weil es nicht sein kann, sondern weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Es wird somit Türkis-Blau werden. Das macht Petrol. Die Körpersprache der Proponenten reibt inzwischen am Tatbestand der Erregung öffentlichen Ärgernisses. Mächtig drängt sich da die Frage auf, was diese Allianz nun von der Mesalliance des Jahres 2000 unterscheidet (und ohnmächtig, warum profil damals mit „Schande Europas“ titelte und nun nur einen „Rechtsruck“ feststellte – wobei wir übrigens nach der Wahl 1999 gegen das allgemeine Dafürhalten „Sieger Haider. Kanzler Schüssel?“ prophezeiten, recht behielten und erst bei Regierungsantritt jenen legendären Cover produzierten).
Diese Unterschiede sind freilich so simpel runterdekliniert, dass man vermuten darf, die verständliche Abscheu verscheuche bei manch einem das simpelste Verständnis:
Der Nominativ. Den haben wir eben geübt. Wenn Türkis-Blau alternativlos wäre, dann wäre das Land jede Alternative von vornherein los. Und weil dieses „wäre“ ein „ist“ wurde, ist das „ist“ nun einmal die einzige Möglichkeit. Im Jahr 2000 war das anders, sonst hätten SPÖ und ÖVP nicht so lange verhandelt. Da gab es also mehrere machbare Konstellationen. Die Volkspartei entschied sich aus freien Stücken für die FPÖ und die Kanzlerschaft.
Strache, der an einschlägigen Wehrsportübungen teilgenommen hatte (eine Jugendsünde laut Alfred Gusenbauer), ist nicht Jörg Haider, der allenthalben den Nationalsozialismus lobte.
Der Genitiv. Wolfgang Schüssel machte damals vom desaströsen Platz drei aus den Regierungschef; Volkswille war da nicht erkennbar, nur Wille zur Macht; er hatte vor der Wahl die Oppositionsrolle versprochen. Sebastian Kurz wurde mit Katapultstart Nummer eins; Heinz-Christian Strache ist beileibe kein Verlierer.
Der Dativ. Mein schwächster Fall. Das Tabu: „Man darf nicht mit einer Partei gemeinsame Sache machen, die das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts relativiert.“ Vor allem nicht auf dem ehemaligen Boden des Großdeutschen Reiches. So eine Partei ist die FPÖ: 40 Prozent schlagende Burschenschafter unter den neuen Abgeordneten (bitte einen Blick hierhin werfen: http://olympia.burschenschaft.at); Odin Wiesinger als Lieblingsmaler von Norbert Hofer (bitte googeln); viel Notorisches mehr. Dieses Tabu wurde freilich schon im Jahr 2000 gebrochen. Überdies sind vergleichbare Parteien nun überall. In Deutschland ist es die AfD (aber weitest weg von einer Regierung). Man wird mit ihnen leben und offensichtlich koalieren müssen. Einem Gedanken aus „Die Zeit“ folgend: „Blubo und Brausi“, Blut und Boden, Brauchtum und Sitte – ein Abgrenzungskriterium des Soziologen Niklas Luhmann – taugen auch nicht mehr.
Schließlich der Akkusativ, argumentativ wieder auf festerem Grund. 2017 ist nicht 2000, weil im Abstand zu 1945 weitere 17 Jahre geflossen sind. Die Täter und die Opfer jener Unsäglichkeit verlassen uns, selbst die infizierte und die traumatisierte Kindergeneration schwindet. Ein Neonazi ist kein Nazi. Strache, der an einschlägigen Wehrsportübungen teilgenommen hatte (eine Jugendsünde laut Alfred Gusenbauer), ist nicht Jörg Haider, der allenthalben den Nationalsozialismus lobte. Gegenwart und Zeitgeschichte werden zur Vergangenheit.
Kehrt Normalität ein? Wenn ich einen Text wie jenen von Christa Zöchling über die Auschwitz-Überlebende Eva Fahidi lese, hinterlässt mich diese Frage ratlos.
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