Christian Rainer: Pisa gegen Ibiza

Ob in der Weltgeschichte die Thunbergs die Oberhand haben oder doch die menschliche Dummheit, wird niemals entschieden sein. 

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In der vergangenen Woche wurden turnusmäßig die Resultate der PISA-Bildungsstudie publiziert. Die junge Schwedin Greta Thunberg machte wieder Schlagzeilen – für die profil-Redaktion ist sie der Mensch des Jahres. Und zeitlich überlappend, aber scheinbar in einem anderen Universum rückt Heinz-Christian Straches junge Vergangenheit Stück um Stück in die Gegenwart.

Die unterschiedlichen Sachverhalte haben einen gemeinsamen Wesenskern. Es geht um Intelligenz und deren Gegenteil, um das Erkennen und Verkennen von Realität am globalen oder persönlichen Horizont. In der maximalen Entfernung von Studie, Thunberg und Strache liegt freilich auch deren Nähe.

Versuchen wir, die Verbindung herzustellen, und beginnen wir mit PISA! PISA ist ein Test, der spezifische Qualitäten von Schülern in einer Vielzahl von Ländern abbildet. Er soll Auskunft darüber geben, wie sich Lese- sowie Rechenfähigkeit und einiges mehr in den Regionen relativ zueinander darstellen, auch wie sich der Befund auf einer Zeitachse entwickelt. Das ist, abgegrenzt betrachtet, eine ehrenwerte und sinnvolle Angelegenheit. Doch sobald Pisa auf die Realität prallt, dreht die Studie ins Gegenteil.

PISA macht anschaulich, wie groß die Fallhöhe zwischen wissenschaftlichem Anspruch und politischer Öffentlichkeit ist. Noch in der Sekunde der Bekanntmachung der Resultate wird deren Bedeutungsinhalt auch schon zerstört; PISA wird zwischen Interessen und Emotionen zerrieben. Die Reaktionen bestehen, in Österreich und vermutlich auch anderswo, aus Schuldzuweisungen an mögliche Verantwortliche bis hin zur Methodenkritik. Der nationale Stolz ist gekränkt. Auf den Einfluss oder die Nichtbeinflussung durch den Zuzug von Ausländern wird hingewiesen. Sogar aus den Bundesländern konnte man dieses Mal ein Blöken in Richtung Hauptstadt vernehmen, wo man die Schuld an den mageren Resultaten verortet.

Mit dumpfem Klang wird politisches Kleingeld geschlagen.

Was nicht und niemals zur Behandlung kommt: die Bedeutung der Resultate für das Fortkommen der Welt in Gestalt der nächsten Generationen; wie und wann die Lehrpläne, die Schulformen, die Elternbildung zu verändern sind, damit dieses Fortkommen eines ist, das Überleben und ein Höchstmaß an gerecht verteiltem Glück gewährleistet.

Da kommt Greta Thunberg ins Spiel. Wer hätte den Einfall, sie und ihren Impact in Pisa-Punkten zu gewichten? Wir wollen hoffen, dass die Schwedin in der Rückwärtsbetrachtung unser wichtigster Mensch des Jahres gewesen sein wird. Denn an dem, was sie symbolisiert, hängt das Überleben Ihrer, liebe Leserinnen und Leser, und meiner Nachkommen. Wenn wir die Klimakatastrophe nicht abwenden, wird alles Menschenmögliche, alles für die Menschen Mögliche, sehr schnell enden, und zwar mit tödlicher Gewissheit. Thunberg hat diese Gewissheit thematisch festgemacht. Sie ist zugleich der Popstar, der Bewegung schafft, der eine Bewegung schafft. (Die PISA-Studie hingegen brennt weder als Thema unter den Nägeln, noch bringt sie Veränderung.)

Darüber hinaus: Unlängst erklärte jemand, niemals sei der Abstand zwischen zwei Generationen größer gewesen als zwischen den Kindern jetzt und ihren Eltern. Die Analyse war auf die digitale Disruption bezogen (und man könnte sie mit dem Verschwinden der autoritären Erziehung in den Jahrzehnten davor infrage stellen). Richtig ist jedenfalls, dass wir nicht mehr mit Senioritätsgewissheit von jungen und älteren Befindlichkeiten sprechen sollten; dass hier Menschen heranwachsen, deren Mindset sich erheblich von dem unseren unterscheidet, wodurch wir anhand der eigenen Historie nicht schlüssig nachvollziehen können, was abgeht. Im Fall von Greta Thunberg jedenfalls Gutes.

Und parallel dazu der ehemalige FPÖ-Chef und Erderwärmungszweifler. Heinz-Christian Straches Welt- und sein Selbstbild werden aktuell in ihren feinen Nuancen aufgedeckt. War das Ibiza-Video noch körniges Anschauungsmaterial zu jener Gegenwelt der rechten Populisten, so ergeben die täglich neuen Enthüllungen ein Puzzle aus Korruption, Dummheit und Verantwortungslosigkeit. Missbrauch von Macht und berauschenden Substanzen, Apokalypse-Erwartung, Größenwahn.

Beinahe jeder fünfte Österreicher würde und wird weiterhin unbeirrt Straches Vermächtnis in Gestalt der FPÖ wählen. Die Türkisen haben eine Koalition mit dieser Partei noch immer nicht ausgeschlossen. Ob in der Weltgeschichte die Thunbergs die Oberhand haben oder doch die menschliche Dummheit, wird niemals entschieden sein.