Christian Rainer: Reiseleistung
Ich habe den Staatsbesuch von Bundespräsident und Bundeskanzler in der vergangenen Woche miterlebt und auch die Reise von Kanzler Wolfgang Schüssel nach China vor 13 Jahren. Die für mich erstaunliche Erfahrung ist, dass dieses Mal Dinge, Personen, Ideologien auf einen Nenner gebracht oder gezwungen wurden, die eigentlich unvereinbar sind. Im Jahr 2005 wäre es undenkbar gewesen, Schüssel und den damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer gemeinsam auf Tour zu schicken. Der Regierungschef führte damals sein zweites, neuerlich heftig umstrittenes schwarz-blaues Kabinett an, der Bundespräsident bildete in jeder Hinsicht das Gegengewicht im Staat. Nicht zufällig hatte Fischer wenige Wochen zuvor eine ebenso pompöse Reise nach Indien unternommen wie Schüssel nach China.
Entsprechend gespannt blickte man nun auf die handelnden Personen: Da stand auf der einen Seite Alexander Van der Bellen, der jahrelang jener Partei vorgesessen war, die seit ihrer Gründung in Ablehnung zur Gesinnung der Volkspartei und in tiefer Feindschaft zu den Freiheitlichen steht. Auf der anderen Seite Sebastian Kurz: Obmann eben jener ÖVP, ideologisch dort tief verwurzelt, vor allem aber Regierungschef einer weiteren schwarz-blauen Koalition mit einer FPÖ, die noch weiter rechts steht als jene von 2005. Diese FPÖ schickte die von ihr nominierte Außenministerin nach China, die sich formal die Außenvertretung der Republik mit dem Bundespräsidenten zu teilen hat. Und sie schickte Norbert Hofer, der in drei Wahlgängen bitterer Gegner von Van der Bellen gewesen war.
Und was begab sich zwischen Peking, Hainan und Cheng-du? Nichts begab sich. Hofer lobte und dankte Van der Bellen in Schalmeientönen. Kurz hielt sich höflich im Hintergrund. Und Van der Bellen reduzierte seine Auftritte auf die ihm von der Verfassung vorgeschlagenen Repräsentationspflichten.
Es fällt schwer, zu begreifen, woher diese unnatürliche Eintracht rührt. Ich denke, sie wurzelt in einer Mischung aus Charakter und Kalkül. Van der Bellen wirkt abgeklärt (was rückblickend schräg ist, da er elf Jahre Chef einer präsumtiv radikalen Oppositionspartei war). Von Hofer heißt es, er stelle die Loyalität in der Regierung über Parteiinteressen; er schielt aber auch auf das Jahr 2022, da will er Van der Bellen im Amt beerben. Kurz hält sich zurück, weil er den freundschaftlichen Umgang unter Gegnern für ein Geheimnis seines Erfolges hält.
Augenfälliger – diesfalls auch für nicht mit österreichischer Innenpolitik vertraute Chinesen – geriet auf dieser Reise die Kluft der Generationen. Van der Bellen ist 74, Kurz 31, Hofer schwebt mit 47 irgendwo dazwischen. Der Bundespräsident könnte also nicht nur Vater, sondern Großvater des Bundeskanzlers sein (dann wären die beiden auch nicht per Sie, eine seltene Erscheinung in der Spitzenpolitik). Kurz hat ja nicht einmal das passive Wahlrecht für das Amt des Staatsoberhauptes erreicht – was dachten sich die Schöpfer der Bundesverfassung wohl, als sie das Mindestalter des Kandidaten mit 35 festsetzten?
Die Junge ÖVP zieht tatsächlich die Fäden in Österreich.
Was heißt es in der Praxis, wenn der wirklich mächtige Mann um so viel jünger ist als der nur formal mächtige? Auf der empirischen Ebene kann ich nur berichten, dass sich viele Mitglieder der Delegation, Wirtschaftstreibende wie Wissenschafter wie Staatsdiener wie Beamte, wieder und wieder darüber verwundert zeigten, „dass uns ein derart Junger regiert“. Erstaunlich erscheint, dass diese Verwunderung noch Monate nach der Regierungsbildung anhält. Die tatsächliche Machtausübung entfaltet wohl eine andere, eine realere Wirkung als die Rituale von Wahlkampf und Koalitionsgesprächen. Mir kommt jedoch noch ein anderes Bild in den Kopf: Auf dieser Reise war tagtäglich zu sehen, dass nicht nur Kurz um eine Generation jünger ist als der Rest des Landes. Vielmehr bestand auch sein gesamtes Mitarbeiter- und Beraterteam aus Menschen, die wenig über 30 Jahre zu sein scheinen. Da ist kein lebenserfahrener Berater, kein väterlicher Freund. Die Junge ÖVP zieht tatsächlich die Fäden in Österreich.
Und dann ist noch zu erwähnen, dass dieser innerösterreichische Widerspruch von Ideologien und Generationen in China – diesfalls vereint – auf ein widersprechendes System traf: ein Mehrparteiensystem mit uneingeschränkten Bürgerrechten hier, eine Einparteiendiktatur mit massiv beschnittenen Menschenrechten dort. Dass der Westen diese Konfrontation für sich entscheiden kann, ist unwahrscheinlich. Mehr dazu bei anderer Gelegenheit.
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