Christian Rainer: Der Schneekönig

Christian Rainer: Der Schneekönig

Die Gewinner und die Verlierer der Regierungskrise stehen fest. Die September-Wahl ist schon geschlagen.

Drucken

Schriftgröße

Wer sich in diesen ereignisstarken Tagen erkundigt, was die Menschen erzürnt, bekommt regelmäßig einen Seitenstrang der politischen Vorgänge zu fassen. Es ist längst nicht mehr das Video, über das gesprochen wird, vielmehr richtet sich der Zorn der Menschen bereits zwei Wochen nach dessen Auftauchen auf die unschuldigsten der Akteure: auf die Sozialdemokratie und ihre Obfrau.

In bürgerlichen Kreisen macht sich Empörung breit, dass die Regierung des Kanzlers gestürzt wurde – noch dazu in Tätereinheit mit den Freiheitlichen. Dabei ist nicht mehr zu unterscheiden, ob der Vorwurf auf Majestätsbeleidigung lautet, weil man gewagt hat, die geliebte Führungsfigur Sebastian Kurz anzutasten, oder ob der Spin jenes jungen Monarchen bereits genug Sogwirkung erzeugt hat, um das Märchen von einer Koalition zwischen SPÖ und FPÖ in einen Ausdruck seiner gottgegebenen Unfehlbarkeit zu verwandeln.

Sturz und Zorn

Die Strahlkraft dieses Gottesgnadentums, die Gefühlsregung, wonach mit dem Sturz des Kanzlers die gesamte Republik beleidigt wurde, wirkt tief in die gesellschaftliche Mitte hinein, wenn nicht sogar bis in die Sozialdemokratie. Dort überwiegt freilich hilfloser Zorn, weil es den roten Granden und zuvorderst Pamela Rendi-Wagner nicht im Ansatz gelungen ist, die Regierungskrise für die eigene Sache zu nutzen. Es fehlte ja tatsächlich an allem, inhaltlich wie formal: am Triumphgeheul über eine demokratisch und moralisch delegitimierte FPÖ; am Siegeswillen gegenüber der ihrer Harmoniesucht entkleideten Volkspartei. Es fehlte am Selbstbewusstsein, auf der richtigen Seite zu stehen, am Handwerkszeug, eine einzigartige Situation wie diese auszuweiden.

Wer in den vergangenen Wochen entsprechende Kritik gegenüber der SPÖ-Führung äußerte, wurde recht barsch auf angeblich ausgezeichnete Sympathiewerte der Parteivorsitzenden hingewiesen. Im Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament haben sich diese Werte nicht niedergeschlagen. Verlierer der Regierungskrise ist also die SPÖ, denn relativ zu den Geschehnissen müsste sie ein strahlender Sieger sein.

Relativ zu jenen Geschehnissen und gemessen am Wahlresultat ist natürlich auch die FPÖ ein Sieger.

Volkspartei als Gewinner der Krise

Damit bleibt – neben den Kollateralbegünstigten Grüne und NEOS – die Volkspartei der Gewinner der Krise. Man hatte das schon vor einer Woche voraussagen können, mit der EU-Wahl und den Zugewinnen aus dem Kreis der Nicht- und der FPÖ-Wähler wurde diese These in Zahlen gegossen. Erstaunlich ist das allemal. Denn Sebastian Kurz hatte zwei Standbeine für seinen Erfolg: einerseits eine Ausländer-Politik, die sich sowohl gegen Migranten richtete wie auch gegen Menschen im Land; andererseits seine Amour fou mit den Freiheitlichen, die sich naserümpfend von der Mesalliance großkoalitionärer Beziehungen abgewendet hatte. Ein Bein ist spektakulär weggebrochen, aber die Wähler interessiert das Nüsse. Naheliegend: Vielleicht hatte ohnehin stets das Ausländerthema überwogen – gepaart mit dem charismatischen Auftreten des Parteiobmannes.

Damit ist die Ausgangslage für die Nationalratswahlen abgesteckt. Ich wage zu prophezeien, dass damit auch das Ergebnis bereits heute feststeht.

Die ÖVP wird ihr Ergebnis von 2017 verbessern und irgendwo zwischen 35 und 40 Prozent landen. Was sollte denn da noch schiefgehen?

Die SPÖ – siehe oben: Sie wird mangels Programm, Geschick und Personal nur mit viel Glück auf die Werte von 2017 kommen, abhängig wohl von den Grünen und den NEOS.

In jeder anderen westlichen Demokratie hätte ein Ibiza-Video des Parteichefs jede Partei zerstört. Nicht in Österreich. Nicht die FPÖ. Die Freiheitlichen haben mit Norbert Hofer und Herbert Kickl beste Chancen, über 20 Prozent zu kommen, nicht so weit weg von ihren Resultaten unter Heinz-Christian Strache.

Die Grünen und die NEOS werden gewinnen, die Grünen sogar massiv.

Das heißt für die Regierungsbildung: Der nächste Bundeskanzler heißt natürlich Kurz. Er wird mit den NEOS regieren, falls nötig zusätzlich mit den Grünen. Wenn diese Dreierkoalition keine absolute Mandatsmehrheit zusammenbrächte, kämen wieder die Freiheitlichen ins Spiel.

Der Schneekönig im nächsten Winter heißt Sebastian Kurz.

[email protected] Twitter: @chr_rai