Christian Rainer: Genosse Schönborn
Gelegentlich trauen wir Überschriften nicht. Wir vermuten Zuspitzung, Fehlinterpretation oder gar blanken Unsinn. So erging es mir am vergangenen Freitag, als ich auf der Online-Seite des ORF las: „Schönborn warnt vor Sicherungshaft.“ Der Kardinal hätte sich demnach in eine innenpolitische Diskussion eingemischt, nicht allgemein moralisierend, sondern sehr konkret. Und der oberste Hüter des christlich-katholischen Glaubens in Österreich hätte dabei nicht nur gegen den freiheitlichen Innenminister Stellung bezogen, sondern auch gegen den obersten Hüter der christlich-sozialen Österreicher, den ÖVP-Obmann und Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Hat er?
Ja, er hat. Die Schlagzeile bei orf.at bezieht sich auf eine Kolumne des Kardinals in der Gratiszeitung „heute“. Dort schreibt Schönborn: „Wenn wir uns einmal daran gewöhnen, dass Menschen im Vorhinein ‚vorsorglich‘ eingesperrt werden können, wohin führt das? … In allen Diktaturen der Welt werden Menschen aus bloßem Misstrauen in Haft genommen. Morgen könnte es auch dich und mich treffen. So weit darf es nicht kommen!“ Schönborn zeigt sich auch skeptisch, dass die von Herbert Kickl vehement betriebene Einführung einer Sicherungshaft auf Asylwerber beschränkt bliebe: Wenn das Kriterium für die vorsorgliche Haft „Gefährlichkeit“ sei, dann treffe das auch auf „Inländer“ zu. Diese Gefährlichkeit in der Zukunft durch „einen Psychiater voraussagen zu lassen“, hält Schönborn selbst für gefährlich. Ein Verdacht gegen den Nachbarn würde genügen, „um ihn zur Sicherheit hinter Gitter bringen zu lassen“.
Sie wenden sich gegen die gesamte Bundesregierung, aus deren Reihen bisher niemand ein Veto gegen die Sicherungshaft eingelegt hat.
Man verzeihe das lange Zitieren, aber diese öffentliche Intervention des Kardinals ist so außergewöhnlich, dass die Ausführlichkeit gerechtfertigt ist. Er wird dabei übrigens sekundiert vom Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, der die Kritik noch am Freitag im Namen aller österreichischen Bischöfe mit einer Warnung vor „unabsehbaren Folgen“ für die „grundrechtlich garantierte persönliche Freiheit“ bekräftigte. Schipka geht so weit, die Regierungspläne wenig verblümt mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen, indem er sagt, man müsse nicht „80 Jahre zurückgehen“, um das Projekt „Sicherungshaft“ zu bewerten.
Wir könnten das alles jetzt einfach so stehen und wirken lassen. Doch ich denke, dass einige Erläuterungen sinnvoll sind. In diesem Zusammenhang ist es jedenfalls wichtig, darauf hinzuweisen, dass Schönborn und der Sprecher der Bischöfe sich wohl darüber im Klaren waren, wen sie hier angreifen: nicht nur Kickl, nicht nur die FPÖ. Sie wenden sich gegen die gesamte Bundesregierung, aus deren Reihen bisher niemand ein Veto gegen die Sicherungshaft eingelegt hat, und sie wenden sich konkret gegen den Bundeskanzler. Kurz hatte erklärt, man brauche „keine Skepsis, keine Arbeitsgruppen oder keine weitere Diskussionen“: „Die Pläne der Bundesregierung sind klar, nämlich die Möglichkeit einer Sicherungshaft zu schaffen.“
Diese Ergänzung soll auch erklären, warum wir der Wortmeldung des Kardinals solche Bedeutung beimessen.
Kurz hört nicht gerne Interpretationen seiner Intentionen, er will sich lieber am Konkreten messen lassen. Aber im konkreten Fall müssen wir zwangsläufig vom konkreten Gesetzesvorhaben auf die abstrakte Ebene wechseln: Unlängst las ich, die Ideologie des Kanzlers bestehe aus zwei Dingen: das uneingeschränkte Eintreten für den Staat Israel einerseits, das Bekämpfen aller Linken andererseits. Das bedarf einiger Ergänzungen: vor allem um Glaubensdinge und in der Folge um eine Sensibilität gegenüber Kritik aus dem hohen Klerus. Diese Ergänzung soll auch erklären, warum wir der Wortmeldung des Kardinals solche Bedeutung beimessen, statt sie zu überhören oder als eine ungebührliche Einmischung der Kirche in innenpolitische Angelegenheiten anzuprangern.
Wenn sich eine Partei ausdrücklich christlich-sozialen Werten verpflichtet fühlt und wenn deren Obmann als Kanzler davon beeinflusst ist, dann bekommen Kommentare wie jene des Kardinals realpolitische Bedeutung, ob wir das für gut befinden oder nicht. In diesem Sinne müssen die Schönborn-Worte wie ein Donnerschlag auf Kurz und die ÖVP gewirkt haben.
Was Schönborn und Schipka hier zum Ausdruck bringen, ist Besorgnis über die Entwicklung der Republik in eine apokalyptische Richtung.
Zumal hier die Unmöglichkeit eingetreten ist, „die Linken zu bekämpfen“ und sich zugleich nach den von der Kirche vertretenen Werten zu richten. Unter normalen Umständen hätte diese Regierung einmal mehr jede Kritik an der Sicherungshaft als „linke“ Kritik abgetan, vor allem auch die Vorbehalte sehr vieler Journalisten, kommen sie nun aus der konservativen „Presse“, dem linksliberalen „Standard“ oder dem liberalen profil. Bei der längst als „links“ gebrandmarkten Caritas hätte man sich leicht getan, aber bei Christoph Schönborn und den anderen Bischöfen? „Genosse Kardinal“?
Noch einmal: Die Kritik von Schönborn und der Bischofskonferenz ist schon deshalb außergewöhnlich, weil sie eine gezielte politische Einmischung darstellt. Aber in ihrem Vergleich mit „Diktaturen“ und dem Bezug auf die Zeit vor „80 Jahren“ geht sie darüber hinaus: Was Schönborn und Schipka hier zum Ausdruck bringen, ist Besorgnis über die Entwicklung der Republik in eine apokalyptische Richtung.
Ich bin gespannt, ob die Regierung auf den Rüffel von ganz oben reagieren wird.
[email protected] Twitter: @chr_rai