Christian Rainer: Steuern durch Nichtsteuern
Zunächst: Falls Ihnen aufgefallen ist, dass ich die in der vergangenen Woche präsentierte Steuerreform im Untertitel dieses Textes der ÖVP zuschreibe: Das ist natürlich beabsichtigt. Im Zusammenhang mit der Bezeichnung als „solide“ werden mir die Möchtegern-Zensoren der FPÖ auch schwerlich vorwerfen können, das sei eine linke Gemeinheit gegen die rechten Freiheitlichen. Vielmehr kann sich niemand im Land vorstellen, dass die legendären schlagenden Experten aus den berühmten korporierten Thinktanks – Verzeihung: Denkfabriken! – zu Gange waren, als dieses Werk konzipiert wurde. Die verhaltensauffällige Sozialministerin gemeinsam mit dem unauffälligen Staatssekretär unterstützt vom erst im Februar des Jahres gegründeten Institut „Denk zukunftsreich“? Eher nicht.
Was immer man an der Grundströmung, im Detail und an der Präsentation auszusetzen hat: Die Reform trägt die Handschrift einer Wirtschaftspartei, die Soll und Haben unterscheiden kann, und eines Finanzministers, der als Versicherungsmanager das ganz große Einmaleins im Schlaf beherrscht.
Zu „solide“ aus Gründen der Dramaturgie etwas später. Kritikpunkte vorneweg.
Dieser Regierung und besonders dem Bundeskanzler kommt zugute, dass Journalisten nicht unbedingt Spezialisten der Volkswirtschaftslehre sind. So konzentrierte sich die mediale Untersuchung auch eher auf die Frage, ob die Wahlversprechen eingehalten wurden, warum das umschlossene Volumen nicht zehn oder zwölf Milliarden, sondern nur 8,3 betrage, und sogar auf die Tatsache, dass die Abgabenquote auf 40,5 Prozent und nicht auf 40 sinken werde. Gewichtiger wäre die Kalkulation gewesen, wonach eher keine Entlastung der Bürger vorliegt, sobald man die kalte Progression der vergangenen und kommenden Jahre einrechnet. Dieses Argument tröpfelte erst nach tagelanger Schrecksekunde in den öffentlichen Diskurs und – weil so kompliziert – auch mäßig verständlich. Franz Schellhorn führt das auf Seite 34 dieses Heftes sehr verständlich aus.
Österreich wird nun endlich als eines der letzten Länder der EU mit brummender Wirtschaft (und trotz der Verlockung niedriger Zinsen) einen Haushaltsüberschuss zusammenbringen.
Mein zweiter Kritikpunkt: Der Reform fehlt die Ideologie. Ein Budget ist das in Zahlen gegossene Glaubensbekenntnis jeder Regierung. Bei dem nun vorgestellten Werk sind aber keine Texte erkennbar, sondern nur einzelne Buchstaben. Ich bin nicht der Erste und werde nicht der Letzte sein, der diese fehlende Kontextualisierung an der fehlenden Ökologisierung der Steuerpolitik festmacht. Da geht es um die größte Bedrohung der Menschheit – wie in der fast schon verzweifelten Titelgeschichte dieser Ausgabe ersichtlich –, und im größten Projekt der Bundesregierung findet sich dazu bis auf eine Augenauswischerei bei der NoVA: zero. Genau nichts. Das wundert mich besonders angesichts der Jugendlichkeit des Bundeskanzlers und seines Teams: Das Problembewusstsein müsste da doch viel größer sein als bei den alten weißen Männern, die allenfalls anno dazumal in der Hainburger Au ein wenig gefroren haben. Und es wundert mich auch wieder nicht: Dieser Bundesregierung fehlt abseits des Schlagers Migration die große Erzählung – Wohin sollen Österreich und die Welt gehen? –, und daher muss diese Erzählung auch in den Zahlen des Finanzministers fehlen.
Und dennoch: Die Steuerreform ist in gewisser Weise trotzdem ideologisch, weil sie ganz unideologisch auf einen ausgeglichenen Staatshaushalt abzielt. Keine neuen Schulden. Nicht mehr ausgeben als eingenommen wird. Steuern durch Nichtsteuern. Da manifestiert sich das Biedere, das Krämerische, das Bürgerliche der Volkspartei in seiner freundlichen Form. Nach Jahrzehnten von fiskalpolitischen Fantasien – wie schuldenfinanziertem Deficit Spending, üblicherweise auch in der Hochkonjunktur – und Tricksereien – wie der heimlichen Alimentation der Budgets durch Privatisierungen unter Wolfgang Schüssel – scheint Vernunft einzukehren.
Hier manifestiert sich die Solidität dieser Reform. Österreich wird nun endlich als eines der letzten Länder der EU mit brummender Wirtschaft (und trotz der Verlockung niedriger Zinsen) einen Haushaltsüberschuss zusammenbringen. Ob die Annahmen des Finanzministers auf Punkt und Komma eintreffen – vom Wirtschaftswachstum abhängige Einnahmen, von Einsparungen abhängige Ausgaben –, halte ich hingegen für sekundär.
[email protected] Twitter: @chr_rai