Christian Rainer: Todesstrafe für Asylwerber
In eigenwilliger Auslegung der Singular-Plural-Regeln schreibt Herbert Kickl am vergangenen Freitagnachmittag auf seinem Instagram-Account: „Nicht nur die Niederlande unterstützt meinen Vorschlag, EU-Recht abzuändern, um nicht erst bei schweren Straftaten dem Täter den Asylstatus abzuerkennen und ihn abschieben zu können.“ Sogar bei Deutschland sei sein Vorschlag „auf Interesse gestoßen“, während sich etwa der EU-Kommissar „weltfremd und abgehoben“ gezeigt habe, als „Vertreter einer Moral, die die Täter schützt und nicht die Opfer“. Herbert Kickl schließt seinen Bericht vom EU-Ministerrat hoffnungsfroh: „Es wird Zeit, dass die EU-Wahl etwas ändert.“
Bei einer Analyse dieses Textes kann man manches bezweifeln, unter anderem, dass jenes zitierte deutsche „Interesse“ einer Zustimmung gleichkommt, wie Herr Kickl uns glauben machen will. Andererseits haben in den vergangenen Wochen auch andere mächtige Personen kundgetan, dass sie einen Wegfall des Asylstatus bei besonders bösen Straftätern für richtig halten. Zu ihnen gehört Thomas Drozda. Der für Radikalität wenig bekannte SPÖ-Geschäftsführer schrieb auf Twitter: „Bei zweimaliger Verurteilung wegen Körperverletzung und weiterer Anzeige wegen Körperverletzung und sexueller Belästigung bin ich gerne präzise: Es gehört abgeschoben PUNKT.“ Sebastian Kurz geht nicht unerwartet einen Schritt weiter. Er hält die derzeitige Regelung für „sehr problematisch“, derzufolge nur nach schweren Straftaten abgeschoben werden kann: „Straffällige Asylwerber müssen abgeschoben werden, und zwar rasch, und egal, woher sie kommen.“ Aberkennung also auch bei einem Einbruchsdiebstahl im Schnellverfahren und ohne Instanzenzug? Nun ja.
Man darf nach mehreren Frauenmorden innerhalb weniger Wochen und angesichts von nahezu täglichen Gewalttaten, mutmaßlich begangen von Asylberechtigten oder Asylwerbern, nachdenklich sein, auch wütend darüber, dass hier viel schiefgelaufen ist, auch selbstkritisch, weil das Gewaltpotenzial von Zuwanderern, seien sie nun traumatisiert oder nicht, unterschätzt wurde. Aber das oben Beschriebene zeigt, dass die Angelegenheit eine kritische Masse erreicht hat: Die Regierung betreibt weder Sicherheits- noch Justizpolitik, sondern reitet die Polemikwelle, und die Sozialdemokratie versucht mitzusurfen.
Es gibt Personen, die ein Aufenthaltsrecht zuerkannt bekommen – oder über deren Aufenthaltstitel noch nicht entschieden wurde –, weil sie im Falle einer Abschiebung sterben würden.
Vielleicht hat niemand zu Ende gedacht, worauf das alles hinausläuft, vielleicht doch. Ohne Polemik: Die Abschiebung eines anerkannten Asylwerbers entspricht der Einführung der Todesstrafe durch jeden Gesetzgeber, der das zulässt. Warum denn wird einem Flüchtling der Asylstatus zuerkannt? In Zigtausenden Fällen ist der Anerkennungsgrund die „bedrohte körperliche Unversehrtheit“. Diese Lebensgefahr kann auf politischer Verfolgung beruhen oder auch auf Gefährdung in Kriegen oder Bürgerkriegen. Ja selbst, wenn der Asylantrag mangels individueller Verfolgung abgewiesen wird, kann subsidiärer Schutz und damit Schutz vor Abschiebung genau dann gewährt werden, wenn das Leben eines Menschen im Herkunftsland bedroht wäre.
Umgekehrt bedeutet das: Es gibt Personen, die ein Aufenthaltsrecht zuerkannt bekommen – oder über deren Aufenthaltstitel noch nicht entschieden wurde –, weil sie im Falle einer Abschiebung sterben würden. Wenn solche Menschen abgeschoben werden, nachdem sie in Österreich eine Straftat begangen haben, dann ist die Konsequenz aus dieser Straftat ihr Tod. Ihre Abschiebung entspricht einer Todesstrafe.
Als Herbert Kickl unlängst meinte, das Recht müsse der Politik folgen, nicht die Politik dem Recht, gab es zwei Varianten, das zu interpretieren. Im Gesamtkontext unwahrscheinlich, aber immerhin denkbar war diese Interpretation: Politiker würden gewählt, damit sie Gesetze machen. Der Kontext beinhaltete aber eben auch folgenden Satz: „Die größte Gefahr des Rechtsstaates ist, dass er missbraucht wird und gegen sich selbst zur Anwendung gebracht wird, dass man über seine eigenen Gesetze stolpert.“ Wie er dieser Gefahr zu begegnen gedenkt, ließ Kickl bis zuletzt gefährlich offen.
Diese Unwägbarkeit macht es unmöglich, mit dem Innenminister und mit der ihm ausgelieferten Regierung darüber zu diskutieren, ob etwa die Genfer Flüchtlingskonvention unantastbar sein soll, ob sie allgemein genug gehalten ist, um sie zeitgemäß anzuwenden, oder ob sie geändert werden sollte: Wenn ein Regierungsmitglied das höhere Rechtsgut, die Verfassung, infrage stellt, dann sollte man besser nicht Gesetze infrage stellen, die sich aus diesem Grundgesetz ableiten.
Erst recht nicht, wenn dieses Infragestellen auf die Todesstrafe für Asylberechtigte hinausläuft, und zwar relativ unabhängig von Sachverhalt und Tatbestand: Laut Herbert Kickl sollte „jede Form einer Straftat“ zu einem Aberkennungsverfahren führen. Frage an den Minister: „Auch Ladendiebstahl?“ Antwort: „Je niederschwelliger, desto besser.“
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